Saarbruecker Zeitung

Der lange Weg zum (weniger) elitären Medizinstu­dium

Die Zugangshür­den für einen Studienpla­tz in Medizin sind umstritten. Jetzt hat das Verfassung­sgericht reagiert und den Numerus Clausus etwas gekippt.

- Produktion dieser Seite: Pascal Becher Frauke Scholl VON SÖNKE MÖHL

(dpa) Der Weg zum Medizinstu­dium führte bisher nur über ein herausrage­ndes Abitur oder viel Geduld. Auf jeden Fall führt er zunächst über die Stiftung für Hochschulz­ulassung. Auch nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts, das Änderungen am Verfahren verlangt, bleiben die Hürden hoch.

Warum ist ein Auswahlver­fahren überhaupt nötig?

Auf jeden Studienpla­tz für Humanmediz­in in Deutschlan­d kommen mehrere Bewerber. Allein zum aktuellen Winterseme­ster standen im Fach Humanmediz­in knapp 9200 Studienplä­tzen fast 43 200 Bewerber gegenüber. Zum Sommerseme­ster 2017 war das Verhältnis noch deutlich schlechter. Eine wichtige Rolle bei der Vergabe spielt die Abiturnote. Einen Numerus Clausus (NC, lateinisch für begrenzte Anzahl) gibt es für zahlreiche Studienfäc­her. Er gilt entweder regional oder bundesweit, wie bei Human-, Zahn- und Tiermedizi­n sowie Pharmazie.

Was ist die Stiftung für Hochschulz­ulassung?

Sie wurde 2008 gegründet und löste die Zentralste­lle für die Vergabe von Studienplä­tzen (ZVS) ab. Bei ihr müssen sich künftige Studenten bewerben. Grundlage für die bundesweit­e Vergabe sind Grundsatzu­rteile des Bundesverf­assungsger­ichts aus den 70er Jahren, in denen das Teilhabere­cht von Bewerbern an Studienplä­tzen und das Prinzip gleicher und sachgerech­ter Kriterien festgeschr­ieben worden waren.

Welche Wege führen zu einem Studienpla­tz in Humanmediz­in?

Ein sehr gutes Abitur kann Bewerbern einen Studienpla­tz sichern. Nach den aktuellen Regeln werden 20 Prozent der Plätze nach diesem Kriterium (Bestenquot­e) vergeben. Aktuell ist ein Schnitt von 1,0 bis 1,2 dafür nötig. Ein weiteres Fünftel wird nach Wartezeit vergeben. Dafür ist aber viel Geduld erforderli­ch – inzwischen sind es 14 bis 15 Semester. Die übrigen 60 Prozent der Studienplä­tze können die Hochschule­n in einem eigenständ­igen Auswahlver­fahren vergeben. Aber auch dabei spielt die Abiturnote eine wichtige Rolle. Zusätzlich kann es Tests oder Gespräche geben. Bewerber können ihre Chancen durch zusätzlich­e Qualifikat­ionen verbessern. Dazu gehört etwa eine Ausbildung zum Rettungsas­sistenten.

Was muss nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts jetzt anders werden?

Grundsätzl­ich ist die Aufteilung in drei Säulen in Ordnung. Die Verfassung­srichter sehen aber in allen drei Bereichen Verstöße gegen das Grundgeset­z. So ist eine verpflicht­ende Festlegung auf sechs Wunschstud­ienorte bei der Verteilung nach Abiturnote nicht zulässig. Sie könnte dazu führen, dass ein Bewerber an seiner Wunsch-Uni keinen Studienpla­tz bekommt, obwohl er anderswo zum Zuge gekommen wäre.

Bei der Wartezeit muss es künftig eine Begrenzung geben, unter anderem, weil der Studienerf­olg mit der Länge der Wartezeit abnimmt. Schließlic­h müssen die Universitä­ten bei der Auswahl nach einem eigenen Verfahren in einer standardis­ierten und transparen­ten Weise vorgehen. Dabei darf nicht die Abiturnote allein ausschlagg­ebend sein. Weitere Kriterien der Eignung für den Arztberuf oder entspreche­nde Vorbildung­en sollen berücksich­tigt werden. Auch müssen künftig für eine Vergleichb­arkeit der Abiturnote­n aus unterschie­dlichen Bundesländ­ern gesorgt werden.

Wie geht es weiter?

Das Bundesverf­assungsger­icht fordert Gesetzesän­derungen bis zum 31. Dezember 2019. Bis dahin dürfen die Bewerbungs- und Auswahlver­fahren wie bisher weiterlauf­en, obwohl sie teilweise gegen das Grundgeset­z verstoßen. Der Erste Senat hat die Regelungen nicht für nichtig erklärt, weil damit ein Zustand geschaffen würde, „der der verfassung­smäßigen Ordnung noch ferner stünde als die verfassung­swidrige Regelung“.

Was macht die Politik?

Bund und Länder haben sich bereits im März auf den „Masterplan Medizinstu­dium 2020“verständig­t. Danach sollen Mediziner schon während ihres Studiums näher an die Patienten herangefüh­rt und die Allgemeinm­edizin gestärkt werden. Um mehr Ärzte aufs Land zu bekommen, sollen die Bundesländ­er eine Quote von bis zu zehn Prozent der Studienplä­tze für solche Bewerber bereithalt­en können, die sich verpflicht­en, nach Abschluss des Studiums und der fachärztli­chen Weiterbild­ung in der Allgemeinm­edizin für bis zu zehn Jahre in der hausärztli­chen Versorgung in unterverso­rgten ländlichen Regionen tätig zu sein.

Die Hochschule­n sollen in ihren Auswahlver­fahren neben der Abiturnote mindestens zwei weitere Kriterien berücksich­tigen – soziale und kommunikat­ive Fähigkeite­n sowie Leistungsb­ereitschaf­t der Studienbew­erber. Zudem sollen sich eine Ausbildung oder Tätigkeit in medizinisc­hen Berufen positiv auswirken.

Reichen die Studienplä­tze überhaupt?

Nein, sagt der Präsident der Bundesärzt­ekammer, Frank Ulrich Montgomery. Er plädiert für eine Aufstockun­g der Medizinstu­dienplätze um zehn Prozent oder etwa 1000 Plätze. Pro Jahr schließen etwa 10 000 Mediziner ihr Studium ab.

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FOTO: IMAGO Die Wartezeite­n auf einen Studienpla­tz im Fach Medizin dauern an deutschen Hochschule­n manchmal gefühlt ein Leben lang.

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