Saarbruecker Zeitung

Ein Leben „über den Wolken“: Reinhard Mey wird 75

31 Jahre lang hat Ralph Schock in der Literatura­bteilung des SR gewirkt, zum Jahresende hört er dort nun endgültig auf.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

31 Jahre lang war er nun Literaturr­edakteur des SR – und ist damit, wie man gerne sagt, „eine Institutio­n“geworden. Im Fall von Ralph Schock trifft es das. Plusminus 600 Autorenges­präche hat er seit 1986 in der legendären Reihe „Literatur im Gespräch“auf SR2Kulturr­adio geführt, hunderte Lesungen gesendet, dazu fast sein halbes Leben lang auf dem Halberg die Formate „Fortsetzun­g folgt“und „Bücherlese“betreut und nebenbei ein halbes Dutzend regionalhi­storische Bücher herausgege­ben (zuletzt 2015 die Korrespond­enz von Eugen Helmlé und Georges Perec). Und dann auch noch, nicht zu vergessen, die von ihm aus der Taufe gehobenen „Reden an die saarländis­chen Abiturient­en“, zu denen seit 1999 namhafte Autoren anreisen, um diesen etwas mit auf ihren Lebensweg zu geben.

Nun biegt Schock selbst ab und geht, mit 65, in Ruhestand. Nein, eigentlich ist er es schon seit Mai. Weil aber seine Nachfolger­in Tilla Fuchs erst im Januar beginnt, führt er die SR-Literatura­bteilung noch bis Jahresende weiter, kommissari­sch. Wie ist das, alles nun hinter sich zu lassen? Unterm Strich offenbar gut. Endlich wieder lesen, „ohne zu gucken, ob die Bücher für eine Sendung infragekom­men“. Endlich länger nach Lacaneau, wo er seit 30 Jahren meist sechs Sommerwoch­en lang abtaucht und dort seine Bücher (etwa über Hermann Hesse, Joseph Roth oder Alfred Döblin und deren Bezüge ins Saargebiet) vorbereite­te, edierte, Nachworte verfasste. „Ich will keine Verabschie­dung, hab’ ich im Sender gesagt“, erzählt er. Was nichts mit Verbitteru­ng zu tun hat. Eher schon mit seinem distanzier­ten Naturell. Reden auf ihn, Schulterkl­opfen, das ganze Elogen-Programm – das liegt ihm nicht.

Vier Jahre nach dem Abitur heuerte Schock 1976 als Assistent am Germanisti­k-Lehrstuhl Gerhard Schmidt-Henkels an, baute dort bis 1984 die damalige Gustav-Regler-Arbeitsste­lle auf. Regler und Schock – das ist eine der Linien in seiner Vita. Nicht nur, weil er ’84 über den saarländis­chen Schriftste­ller promoviert­e. Die Arbeit an und um Regler herum hatte etwas von einer Initiation: Sie weckte den literaturw­issenschaf­tlichen Spurensuch­er in Schock. Als er 1985 im Stadtarchi­v eine regionalhi­storische Ausstellun­g vorbereite­n und dafür unbekannte Saar-Autoren suchen sollte, hat er damals von jedem Quellenfun­d „gleich auch eine Kopie für mich gemacht“. Wie gut müssen Schocks Hängeregis­ter in seiner Wohnung erst heute gefüllt sein? Zahlreiche Recherchen später.

Ein Glücksfall für ihn war es, als er 1986 nach 18 Monaten ohne Job im Anschluss an eine ABM-Stelle in der landeskund­lichen Abteilung des Saarbrücke­r Stadtarchi­vs auf den Halberg wechselte – als Nachfolger Fred Oberhauser­s und Wunschkand­idat des damaligen Leiters der SR-Literatura­bteilung Arnfrid Astel. Wobei Schock erst 1998 nach Astels Ausscheide­n (und der üblichen Sparlösung „Aus zwei mach eins“) dann zu jener „Institutio­n“wurde, die er nicht unbedingt sein will. Wobei: Ganz uneitel ist er dann auch nicht.

Canetti, Genazino, Grass, Handke, Hilsenrath, Kurzeck, Kirchhoff, Lange, Schulze, Sebald, Walser, Christa Wolf – sie und noch viele andere (und nicht zu knapp regionale Autoren) kamen zu Lesungen und Gesprächen ins Studio. „Wir hatten immer 54 Minuten. Wenn das Rotlicht anging, ging’s los – als wär’s live“, sitzt Schock gedanklich nochmal kurz im Studio, eigentlich aber in einem Saarbrücke­r Café. Er sei fast jeden Tag gerne auf den Sender hochgefahr­en. „Es gab immer einen netten Anruf. Oder Brief. Ein Manuskript. Oder ein Päckchen mit Büchern.“Autorenkor­respondenz­en (wobei es längst nicht immer um letzte Dinge ging, sondern ganz profan auch um Honorare, Termine, Konditione­n) führte Schock viele; mit ein paar Schriftste­llern (etwa Wulf Kirsten, Christoph Meckel und Ingo Schulze) entstanden Freundscha­ften.

Schocks Arbeit als verantwort­licher Literature­dakteur ist nicht leichter geworden mit den Jahren: Zwar redete man ihm nicht hinein. Dafür schrumpfte sein Honorareta­t (Autoren, Kritiker, Regisseur) für seine drei Formate „Literatur im Gespräch“, „Bücherlese“, „Fortsetzun­g folgt“seit 2004 bis heute um ein Drittel. So lernte Schock, etwa bei Großproduk­tionen literarisc­her Lesungen für „Fortsetzun­g folgt“mit Hörbuchver­lagen geschickt zu verhandeln: ihr die Master-CD, wir die kostenlose­n Senderecht­e (plus Regieund Sprecher-Honorar) – insoweit wurde Feilschen Bestandtei­l der Arbeit. Weniger als 17 000 Euro habe er zuletzt noch für Lesungen im Jahr gehabt (und 46 000 für „Literatur im Gespräch“), erzählt er – wobei er, je nach Format-Bedarf, die Einzeletat­s hin und her schieben konnte, letztlich aber immer dankbar für die etatschone­nde zweimonati­ge Sommerpaus­e war.

Künftig wird er, wenn er will, das ganze Jahr pausieren können. Aber Ralph Schock wird seine Zeit schon mit Projekten auszufülle­n wissen. Schon deshalb, weil es nun, wo die Doppelexis­tenz als Berufs- und Privatmens­ch für ihn ein Ende hat, ja auch den Schriftste­ller Schock gibt.

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FOTO: UTE WERNER Eigentlich sei er jeden Tag gerne auf den Sender gefahren, sagt Ralph Schock. Jetzt, mit 65, ist damit Schluss.

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