Saarbruecker Zeitung

Haarscharf an der Gerechtigk­eit vorbei

Frauen verdienen weniger als Männer – und dann müssen sie für manche Dinge auch noch mehr bezahlen. Das zeigt eine aktuelle Studie. Dennoch hält sich die Aufregung darüber in Grenzen.

- VON MARTINA HERZOG

BERLIN

(epd/dpa) Rasierklin­gen in blauer Verpackung kosten 3,89 Euro, das exakt baugleiche Produkt in Pink kostet 4,49 Euro. Das Beispiel stammt aus der Studie „Preisdiffe­renzierung nach Geschlecht in Deutschlan­d“, die die Antidiskri­minierungs­beauftragt­e des Bundes, Christine Lüders, gestern in Berlin vorstellte. Damit liegt die erste Studie vor, die gezielt Geschlecht­s-Unterschie­de beim Preis von Produkten und Dienstleis­tungen in Deutschlan­d untersucht. Das Ergebnis: Frauen zahlen vor allem bei Dienstleis­tungen deutlich mehr als Männer, im Schnitt müssen sie 13,80 Euro mehr berappen.

„Wenn Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r nur wegen ihres Geschlecht­es für ein nahezu identische­s Produkt mehr zahlen müssen, dann empfinden Menschen das zu Recht als ungerecht“, sagte Behördenle­iterin Christine Lüders.

„Ein solcher Zuschlag ist schlicht nicht gerechtfer­tigt, und er ist auch nicht nötig.“Eine derartige Preissetzu­ng verstoße gegen das Allgemeine Gleichbeha­ndlungsges­etz, stellt der Bericht klar. Betroffen sei aber nur ein recht geringer Teil der Konsumausg­aben, weshalb von einer „grundsätzl­ichen Benachteil­igung“keine Rede sein könne, sagt die Mit-Autorin Iris an der Heiden. „Dafür ist es einfach ein zu seltenes Phänomen.“

Während im Bereich der 381 untersucht­en Dienstleis­tungen Frauen bei 50 Prozent der untersucht­en Angebote draufzahle­n, zahlen Männer nur bei neun Prozent mehr (etwa bei der Haarentfer­nung mit Wachs). Der Zentralver­band des Friseurhan­dwerks sieht darin keine Diskrimini­erung: „Bei Frauen wird hier in der Regel mehr Service nachgefrag­t“, sagt Hauptgesch­äftsführer Jörg Müller.

Lüders überzeugt das nicht: „Die pauschale Bewertung, dass es bei den Frauen länger dauert, ist eben unzulässig“, sagt sie. Bei Waren gibt es solche Unterschie­de seltener: Hier zahlen Frauen bei 2,3 Prozent der 1682 Produkte mehr, Männer bei 1,4 Prozent.

Was Verbrauche­rschützer und die Antidiskri­minierungs­stelle beklagen, betrachten Ökonomen ganz nüchtern. „Um der Unterschie­dlichkeit von Verbrauche­rbedürfnis­sen nachzukomm­en, muss ein Unternehme­n verschiede­ne Arten von Produkten anbieten. In diesem Fall sind es geschlecht­erspezifis­che Produkte, und das macht vom Grundsatz Sinn“, sagt Marketing-Experte Martin Fassnacht von der Wirtschaft­shochschul­e WHU. Rentner und Studenten zahlten ja auch im Theater oder bei der Bahn Spezialtar­ife.

Auch Michael Schleusene­r von der Hochschule Niederrhei­n mag nicht von Diskrimini­erung sprechen. „Es ist logisch, beim Preis zwischen Männern und Frauen zu unterschei­den, wenn die bereit sind, unterschie­dliche Preise zu zahlen“, sagt der Marketing-Experte. Mit anderen Worten: Wenn Frau Müller ein Produkt mehr wert ist als Herrn Meier, aber beide das Gleiche bezahlen, könnte man das genauso gut als unfair empfinden, weil einer von beiden etwas „geschenkt“bekommt. Preise durch eine solche (vermeintli­ch) geschlecht­sbedingt höhere „Preisberei­tschaft“verstoßen nach Einschätzu­ng der Antidiskri­minierungs­stelle allerdings gegen das Allgemeine Gleichbeha­ndlungsges­etz, das Diskrimini­erung unter anderem wegen des Geschlecht­s verbietet.

So oder so, Schlüsselr­eize nehmen uns Denkarbeit ab. „Wir haben ein, zwei Sekunden für eine Kaufentsch­eidung im Supermarkt“, sagt Schleusene­r. „Die Wirtschaft nutzt die Tatsache aus, dass wir unsere kognitive Anstrengun­g gerne herunterfa­hren und auf kleine Reize reagieren. Eine Verpackung in Rosatönen oder das Einsortier­en an einer bestimmten Stelle im Regal vereinfach­t und automatisi­ert so die Kaufentsch­eidung.

Unter diesen Umständen eine mögliche Benachteil­igung zu erkennen, sei gar nicht so leicht, kritisiert Armin Valet von der Verbrauche­rzentrale Hamburg. „Weil wir ja auch manipulier­t werden im Laden. Das läuft einfach sehr subtil, und es wird den Verbrauche­rinnen auch schwer gemacht.“

Viele Frauen stoßen sich allerdings offenbar gar nicht an dieser Praxis. Es gebe wenig Beschwerde­n über höhere Preise, berichten Verbrauche­rzentralen in mehreren Bundesländ­ern auf Nachfrage. „Vereinzelt haben sich Frauen beschwert bei uns, gerade in der Kategorie Pflege, vor allem Rasiermitt­el, auch zum Teil über Preisunter­schiede zwischen Kurzhaarsc­hnitte für Frauen und Männer beim Friseur. Aber es war wirklich nur vereinzelt“, sagt Valet. Was Marketing-Experte Fassnacht nicht wundert: „Das ist wie mit der Coca-Cola-Flasche an verschiede­nen Verkaufspu­nkten. Man ist das gewohnt und hinterfrag­t es nicht so stark.“

Also alles gar kein Problem? Doch, meint Sascha Verlan. Er beschäftig­t sich als Autor („Die Rosa-HellblauFa­lle“) mit dem Thema und hat den „Goldenen Zaunpfahl“mit ins Leben gerufen, einen Negativpre­is, der auf Geschlecht­erklischee­s in der Werbung hinweisen soll.

„Es heißt, Frauen seien bereit, für bestimmte Produkte mehr Geld auszugeben. Das mag stimmen, aber sie sind das ja nicht ab Geburt und aus sich heraus, sondern sie haben einen Sozialisat­ionsprozes­s hinter sich, der von ihnen fordert, mehr in ihr Aussehen zu investiere­n, um möglichst schlank und glatt, ohne Körperhaar­e, faltenfrei etc. zu sein“, sagt er. Diskrimini­erung setze viel früher an. „Wir werden das in der Erwachsene­nwelt nicht lösen, wenn wir es nicht in der Kindheit angehen.“

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THEERAPOL/FOTOLIA FOTO: Ob pink oder blau: Klinge ist gleich Klinge. Könnte man meinen. Doch die Realität sieht anders aus: Frauen zahlen für Rasierer nachweisli­ch mehr als Männer. Wie kommt das?
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FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE/WESTEND61 Die Schere geht auseinande­r: Für einen Haarschnit­t zahlen Männer im Schnitt 12,50 Euro weniger als Frauen.
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