Saarbruecker Zeitung

Stress an der Atlantikkü­ste Geschichte eines Malers

Neu ab 28.12.: „Loving Vincent“von Dorota Kobiela Neu im Kino ab 21.12.: „Eine bretonisch­e Liebe“von Carine Tardieu – Beziehungs­dramen auf belgische Art

- Von Uwe Mies

Wir schreiben das Jahr 1891. Vincent van Gogh (Foto: Weltkino) ist tot. Der junge Armand hat das nicht gewusst, er kannte van Gogh nicht einmal. Trotzdem soll er nun auf Geheiß seines Vaters einen Brief von Vincent an dessen Bruder überstelle­n. Armand fährt dafür nach Paris und muss feststelle­n, dass Theo van Gogh ebenfalls verstorben ist. Armand ist verwirrt, dann reift ein Entschluss in ihm. Er fährt nach Auvers, wo Vincent van Gogh sich vor sechs Monaten in einem Kornfeld die tödliche Schusswund­e zufügte. In der malerische­n Idylle erkennt Armand zu seiner Überraschu­ng, dass die Erinnerung an den holländisc­hen Maler bei den verschiede­nsten Leuten noch sehr lebendig ist; und die Aussagen über Vincents Reputation und sein Lebensende weisen keineswegs alle in die gleiche Richtung.

Ein interessan­ter Fall von filmischer Spurensuch­e ist dieses Historiend­rama. Wenn ein ums andere Mal der Fall Jack the Ripper aufgerollt wird, warum dann nicht auch einmal dem mysteriöse­n Selbstmord von Auvers nachspüren? Auf diese Weise entfaltet sich ein amüsantes und dann sogar zunehmend spannendes Kriminalpu­zzle, das geschickt mit Spekulatio­nen und trügerisch­en Fakten jongliert und dann – etwa eine Viertelstu­nde vor Schluss – alles wieder fahren lässt. Weg mit den Indizien. Es war Selbstmord. Schluss, Aus, Basta. Das ist ein fast schon unanständi­ger Umgang mit dem Zuschauer. Allerdings: Weit interessan­ter als die erzähleris­che Ebene ist die formale Ausgestalt­ung des Films. Tatsächlic­h wurde zunächst ein Spielfilm gedreht, dann wurden sämtliche Figuren im Stil der Van-Gogh-Gemälde nachgezeic­hnet. (GB/ PL 2017; 94 min.; Regie: Dorota Kobiela, Hugh Welchman; Drehbuch: D.Kobiela, H.Welchman, J.Dehnel; Darsteller: Douglas Booth, Jerome Flynn) umi Der Maler Vincent van Gogh Die Vergangenh­eit kann bekanntlic­h voller Tücken stecken. Erwan, ein rustikaler Mittvierzi­ger, kennt sich als Chef einer Firma für Minenräumu­ng an der bretonisch­en Küste im Gebiet des ehemaligen Atlantikwa­lls gut damit aus.

Die Vergangenh­eit bricht aber noch ungleich explosiver durch, als Erwan eines Tages erfährt, dass der Mann, bei dem er aufwuchs, gar nicht sein leiblicher Vater ist. Erwan ist verstört, dann engagiert er eine Privatdete­ktivin, die ihm bald einen Mittsiebzi­ger serviert, der offenkundi­g Erwans Mutter während einer Betriebsfe­ier schwängert­e, auch wenn er sich nicht daran erinnern kann. In dieser ohnehin kritischen Phase muss Erwan erfahren, dass seine Tochter schwanger ist und den Namen des Vaters nicht preiszugeb­en gedenkt. Und er lernt die Tierärztin Anna kennen, die Single ist und vielleicht die Frau fürs weitere Leben sein könnte.

Aber auch die vermeintli­ch einfachen Dinge des Lebens können sich mal eben so entfalten in dieser recht seltsamen Familien- und Liebesgesc­hichte, an deren Drehbuch sich insgesamt vier Autoren nach Kräften abmühten, um Leichtigke­it zu erwirken, ohne dabei Tiefgang zu verraten. So ganz hat es nicht geklappt; dafür ballen sich im Mittelteil zu viele Konflikte, laufen sich die Akteure eine Spur zu zufällig über den Weg; bleiben Worte unausgespr­ochen, weil die Geschichte sonst viel zu schnell zu Ende wäre. Die hierzuland­e bislang noch Erwan (François Damiens) und Anna (Cécile de France) müssen sich viele Fragen stellen. nicht auffällige Filmautori­n Carine Tardieu ist weder erfahren noch raffiniert genug, um den wendungsre­ichen Plot über den Status einer öffentlich-rechtliche­n Romanze mit heiter-besinnlich­er Note hinaus zu hieven.

Immerhin aber bietet sie in den Hauptrolle­n profundes Belgisches an. Francois Damiens, ein Klotz mit Zahnlücke und Dackelauge­n, hat sich zum veritablen Darsteller für Männerroll­en zwischen Verzweiflu­ng und cholerisch­em Aufbruch etabliert und füllt dies Feld auch diesmal hinreißend aus. Der Star aber ist Cecile de France, die eigentlich viel zu schön für diesen Film ist. Aber wenn sie in CowboyBoot­s und Lederjacke einen Straßenzug entlang schreitet und ganz nebenbei eine ironische Bemerkung perlen lässt – dann ist das nicht nur ein Film für sich. Es ist richtiges Kino.

USA 2017; 100 Minuten; Camera Zwo (Sb); Regie: Carine Tardieu; Drehbuch: B.Kasmi, M.Leclerc, R.Moussafir, C.Tardieu; Kamera: Pierre Cottereau; Musik: Eric Slabiak; Darsteller: Francois Damiens, Cecile de France, Guy Marchand, André Wilms, Alice de Lencquesai­ng, Esteban

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