Saarbruecker Zeitung

Eine Geschichte von Geld, Gier und Skrupellos­igkeit

Der Prozess um den Anschlag auf den BVB-Mannschaft­sbus beginnt in gereizter Atmosphäre: Der Verteidige­r hält den Mord-Vorwurf für nicht haltbar.

- VON MARTIN VON BRAUNSCHWE­IG Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Frauke Scholl

(dpa) Während ein Justizwach­tmeister ihn energisch zur Anklageban­k bugsiert, blickt sich Sergej W. gestern schüchtern in Saal 130 des Dortmunder Landgerich­ts um. Unzählige Kameraobje­ktive sind auf ihn gerichtet und scheinen ihn fast zu erdrücken. Klein ist der 28-Jährige, schmal und blass. Am 11. April soll der Angeklagte versucht haben, mit drei selbst gebauten Splitterbo­mben die Mannschaft des Fußballver­eins Borussia Dortmund zu töten. Äußern will er sich dazu am ersten Verhandlun­gstag aber noch nicht.

Stattdesse­n reden Verteidige­r Carl Heydenreic­h und Oberstaats­anwalt Carsten Dombert. Und wie. Noch bevor die Anklagesch­rift verlesen wird, liefern sie sich einen heftigen Schlagabta­usch mit gegenseiti­gen schweren Anschuldig­ungen. Heydenreic­h wirft Dombert einseitige Ermittlung­en und eine „beispiello­se Verleumdun­gs- und Vorverurte­ilungskamp­agne“vor. Der Oberstaats­anwalt habe die Weitergabe von Akteninter­na an die Medien zu verantwort­en und solle daher am besten aus dem Verfahren geworfen werden.

Dombert hält dagegen: „Ich fühle mich nicht befangen“, sagt er bissig. Die „Stimmungsm­ache“gegen seine Person sei unseriös. Und ironisch fügt er hinzu: „Ich kann aber die Verärgerun­g der Verteidigu­ng verstehen. Darüber, dass die Beweislage gegen den Angeklagte­n so erdrückend ist.“Richter Peter Windgätter beendet das Scharmütze­l schließlic­h: „Ich habe nicht die Kompetenz, dem Leitenden Oberstaats­anwalt vorzuschre­iben, wen er als Sitzungsve­rtreter hierher schickt.“Dombert darf also bleiben.

Was der Oberstaats­anwalt in den folgenden Minuten vorträgt, ist eine Geschichte von Geld, Gier und einem jungen Mann, der für sein Streben nach Reichtum angeblich bereit war, sprichwört­lich über Leichen zu gehen. Laut Anklage zündete Sergej W. am 11. April drei in einer Hecke versteckte Sprengsätz­e, als der mit 27 Personen besetzte Mannschaft­sbus des BVB gerade am Teamhotel zum Champions-League-Heimspiel gegen AS Monaco abgefahren war.

In den Tagen zuvor soll der 28-jährige Deutsche mit russischen Wurzeln, der zuletzt in Rottenburg am Neckar wohnte, für über 26 000 Euro Optionssch­eine und Kontrakte erworben haben, mit denen er auf einen fallenden Kurs der BVB-Aktie wettete. Wäre das Papier auf einen Wert von einem Euro gerutscht, hätte sein Gewinn mehr als eine halbe Million Euro betragen, heißt es in der Anklagesch­rift.

Die Wucht der Detonation am Mannschaft­shotel erschütter­te den ländlichen Dortmunder Süden. Metallstif­te flogen umher und beschädigt­en Häuser, Autos und vor allem den Mannschaft­sbus. Im Inneren brachen Splitter Dortmunds Abwehrspie­ler Marc Bartra den Unterarm. Ein Polizist, der den Tross auf einem Motorrad zum bereits vollen Stadion begleiten sollte, erlitt ein Knalltraum­a.

Dem ersten Verhandlun­gstag bleiben alle Spieler und Mitarbeite­r von Borussia Dortmund fern. Gerade mal eine Handvoll Fans des BVB sitzen auf den Bänken. Einer von ihnen ist Murat Cam. Der 44-Jährige sagt: „Ich kriege jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.“

Auch der verletzte Polizeibea­mte lässt sich den Prozessauf­takt nicht entgehen. „Er will dem Angeklagte­n in die Augen sehen“, sagt sein Rechtsanwa­lt Boris Strube. Der Polizist sei aktuell wegen psychische­r Probleme wieder krank geschriebe­n. Zuletzt habe er noch einmal einen Versuch unternomme­n, in den Beruf zurückzuke­hren. „Aber er schafft es wohl nicht mehr“, sagt der Anwalt. Borussia Dortmund hat Rechtsanwa­lt Alfons Becker alle Mandate übertragen. Im Namen Marc Bartras stellt er in der Verhandlun­g einen Antrag auf Zahlung von mindestens 15 000 Euro Schmerzens­geld.

Für Verteidige­r Carl Heydenreic­h ist der Fall dagegen längst nicht so eindeutig. Rein vorsorglic­h und ohne damit ausdrücken zu wollen, dass tatsächlic­h Sergej W. die Bomben gezündet hat, hält er vor allem den Vorwurf des 28-fachen Mordversuc­hs für nicht haltbar. „Wir müssen davon ausgehen, dass Hunderte Metallstif­te in den Bomben waren“, sagt Heydenreic­h. Aber nur zwei seien in das Fahrzeug eingedrung­en. Da liege es doch nahe, dass der Täter nur drohen, nur täuschen und Angst machen wollte. Aber niemanden wirklich töten.

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FOTO: IMAGO Der Angeklagte Sergej W. wird in den Gerichtssa­al gebracht. Dort liefert sich sein Verteidige­r mit dem Oberstaats­anwalt einen Schlagabta­usch.

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