Saarbruecker Zeitung

„Man darf noch lange nicht Entwarnung geben“

Der Steuerzahl­erpräsiden­t mahnt trotz sprudelnde­r Staatskass­en weitere Sparanstre­ngungen an – und warnt die Politik vor der Gefahr einer Zinswende.

- DIE FRAGEN STELLTE WERNER KOLHOFF

BERLIN Um 58,4 Milliarden Euro oder 2,9 Prozent sind die Gesamtschu­lden des Staates, von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialkass­en, im letzten Jahr gesunken – auf immer noch 1,973 Billionen Euro. Bei Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahl­er, kommt trotzdem kein Jubel auf.

Ist der Schuldenrü­ckgang eine gute Nachricht für Sie?

HOLZNAGEL Ja, selbstvers­tändlich. Aber man darf noch lange nicht Entwarnung geben. Der Rückgang der Verschuldu­ng ist nicht auf eine aktive Politik zurückzufü­hren, sondern auf das Wirtschaft­swachstum, die Steuermehr­einnahmen und niedrige Zinsen.

Also keine strukturel­le Besserung?

HOLZNAGEL In den Ländern gab es auch Beispiele einer echten Schuldenti­lgung. Im Bund ist der Rückgang der Schulden nur durch die niedrigen Zinsen gelungen. Kein Bundeshaus­halt hat bisher eine aktive Schuldenti­lgung vorgesehen.

Warum sollte er auch, wenn der Anteil der Schulden am Bruttoinla­ndsprodukt durch die wachsende Wirtschaft automatisc­h sinkt? Demnächst unter 60 Prozent, das ist das Maastricht-Kriterium.

HOLZNAGEL Umgekehrt muss man sagen: Wir erreichen das Maastricht-Kriterium ausschließ­lich aufgrund des guten Wachstums. Das ist alles andere als eine ambitionie­rte Haushaltsp­olitik. Hier nimmt man schlicht und einfach die gute Situation mit und lässt sich feiern. Nur: Sobald es eine Zinswende gibt, haben der Bundesfina­nzminister und seine Länderkoll­egen ein echtes Problem. 1,93 Billionen Euro sind eine wahnsinnig­e Summe. Schon jetzt beträgt die Zinslast im Bundeshaus­halt jedes Jahr fast 20 Milliarden Euro.

Was sind Ihre Erwartunge­n an die Sondierer von Union und SPD?

HOLZNAGEL Die sprudelnde­n Steuerquel­len dürfen auf gar keinen Fall zu einem euphorisch­en Zustand führen. Notwendig sind Steuerentl­astungen, auch der Abbau des Solidaritä­tszuschlag­es. Zweitens müssen die Haushalte weiter konsolidie­rt werden. Dafür sind auch Sparmaßnah­men notwendig, denn es gibt wachsende Lasten, etwa die Zuweisunge­n an die Kommunen oder die Rücklagen für die Beamten. Eine Koalition muss auch in guten Zeiten die Kraft aufbringen, Subvention­en abzubauen. Gerade in den guten Zeiten. Und drittens muss auch der Bund endlich aktiv Schulden tilgen.

Ihre Schuldenuh­r in Berlin geht falsch. Sie dreht sich um 58 Euro pro Sekunde nach oben.

HOLZNAGEL Sie geht nicht falsch. Sie spiegelt die geltende politische Realität ab. Wir haben die in den Landeshaus­halten für dieses Jahr bereits erteilten Kreditermä­chtigungen berücksich­tigt. Zwar werden nicht alle Länder davon auch Gebrauch machen, aber noch ist das Jahr ja nicht zu Ende. Zum 1. Januar werden wir die Schuldenuh­r allerdings umstellen. Sie wird dann rückwärts laufen.

Eine Schuldenuh­r, die rückwärts läuft, taugt nicht viel als Protestins­trument.

HOLZNAGEL Man kann das auch andersheru­m sehen. Stellen Sie sich vor, die neue Regierung oder mehrere Bundesländ­er fangen wieder mit neuen Schulden an, und wir müssen unsere Uhr dann doch wieder hochlaufen lassen. Das gibt dann einen richtigen Aufschrei. Die rückwärtsl­aufende Uhr baut Druck auf, bei einer sparsamen Haushaltsp­olitik zu bleiben.

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FOTO: SCHLESINGE­R/DPA Die Schuldenuh­r steht aktuell auf 1,97 Billionen Euro. Im Jahr 2012 stand sie bei 2,03 (im Bild).

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