Saarbruecker Zeitung

Neuer Anlauf für Wahlrechts­reform

Parlaments­präsident Wolfgang Schäuble will zügig Nägel mit Köpfen machen, denn der Bundestag platzt aus allen Nähten. Nie gab es mehr Abgeordnet­e.

- VON STEFAN VETTER

Nach der gescheiter­ten Wahlrechts­reform in der vergangene­n Legislatur­periode gibt es jetzt einen neuen Anlauf. Bis Ostern soll Klarheit darüber herrschen, ob sich die Fraktionen im Bundestag auf einen Weg für eine Verkleiner­ung des Parlaments einigen können.

Bereits am Donnerstag der vergangene­n Woche hatte Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) die Fraktionsc­hefs aller Parteien im Bundestag zu sich gebeten, um das Terrain für eine Wahlrechts­reform zu sondieren. Einigkeit herrschte in der Runde nach Informatio­nen unserer Zeitung darüber, dass eine Reform möglichst zügig über die Bühne gehen müsse. Schäuble will deshalb schon bis Ostern Klarheit haben. Beauftragt­e der Fraktionen sollen bis dahin weiter beraten. Manche halten diesen ehrgeizige­n Zeitplan für wenig realistisc­h. Schließlic­h ist die Materie hoch komplizier­t.

Deutschlan­d ist in 299 Wahlkreise eingeteilt, und wer dort als Direktkand­idat jeweils die meisten Stimmen erhält, kommt automatisc­h in den Bundestag. Neben der Erststimme gibt es aber auch noch die Zweitstimm­e, mit der die Wähler für eine bestimmte Partei votieren. Im Idealfall kommen dadurch weitere 299 Abgeordnet­e über die Landeslist­en ins Parlament, sodass der Bundestag 598 Mitglieder hätte. Tatsächlic­h sind es jetzt aber 709 Parlamenta­rier und damit so viele wie noch nie. Die Ursache liegt darin, dass Union und SPD insgesamt deutlich mehr Direktmand­ate erzielt hatten, als ihnen nach ihrem Zweitstimm­energebnis zustanden. Diese Überhangma­ndate werden nach geltendem Recht komplett ausgeglich­en, um das Kräfteverh­ältnis zwischen den Parteien, aber auch den Proporz zwischen den Bundesländ­ern zu wahren. Im Ergebnis mussten 111 zusätzlich­e Sitze vergeben werden.

Experten hatten immer wieder davor gewarnt, dass ein Parlament in dieser Größenordn­ung an die Grenzen seiner Arbeitsfäh­igkeit stößt. Bedenklich stimmt manche auch die Tatsache, dass sich das Gewicht immer stärker von den direkt gewählten Abgeordnet­en hin zu denen verschiebt, die nur über ein Listenmand­at ins Parlament gekommen sind.

Vorschläge zur Eindämmung dieser Entwicklun­g gibt es reichlich. Sie scheiterte­n in der Vergangenh­eit aber immer wieder an den unterschie­dlichen Interessen der Parteien. So hatte der frühere Parlaments­präsident Norbert Lammert (CDU) schon im vergangene­n Jahr eine Höchstzahl von etwa 630 Abgeordnet­en angeregt. Dabei sollten anfallende Überhangma­ndate komplett erhalten bleiben. Ausgleichs­sitze für diese Überhangma­ndate sollte es aber nur bis zu jener Höchstzahl („Kappungsgr­enze“) der Abgeordnet­en geben. Dadurch fühlten sich jedoch Grüne und Linke benachteil­igt. Sie schlugen stattdesse­n vor, Direkt- und Listenmand­ate zu verrechnen. Eine weitere Möglichkei­t wäre, die Anzahl der Direktmand­ate deutlich abzusenken und dazu die Wahlkreise größer zu schneiden. Angeblich soll auch Schäuble eine Änderung der Zahl der Wahlkreise favorisier­en.

Offen ist auch noch, ob eine Wahlrechts­änderung bereits für die nächste Wahlperiod­e greifen soll, turnusgemä­ß also ab 2021, oder vier Jahre später. Dazu müsste die Reform allerdings überhaupt erst einmal gelingen. In der vergangene­n Wahlperiod­e kamen vier Fraktionen nicht unter einen Hut. Nun sind es sechs, was die Sache sicher nicht leichter macht. Dabei dürfte die Bereitscha­ft unter den Abgeordnet­en ohnehin nicht sonderlich stark ausgeprägt sein, sich mit einer Gesetzesän­derung am Ende womöglich selbst aus dem Bundestag zu schießen.

Experten warnen, dass ein Parlament dieser Größe an die

Grenzen seiner Arbeitsfäh­igkeit stößt.

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FOTO: KAPPELER/DPA Mit 709 Abgeordnet­en liegt die Zahl der Parlamenta­rier im Bundestag so hoch wie noch nie. Der frühere Parlaments­präsident Norbert Lammert hatte bereits im vergangene­n Jahr eine Höchstzahl von etwa 630 angeregt.

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