Saarbruecker Zeitung

Keine Ende in Sicht im Katalonien-Konflikt

Nach der Neuwahl blicken die Katalanen in eine ungewisse Zukunft. Der größte Verlierer: der konservati­ve Regierungs­chef in Madrid.

- VON EMILIO RAPPOLD Produktion dieser Seite: Fatima Abbas Iris Neu-Michalik

Der unerwartet­e Erfolg der Separatist­en bei der Parlaments­neuwahl in Katalonien hat den Streit um die krisengepl­agte spanischen Region neu entfacht. Wie es jetzt weitergeht, ist völlig unklar.

MADRID/BARCELONA (dpa) Am Wahlabend fasst sich ein Journalist in einer Talkrunde erschütter­t an den Kopf. Als sich die erneute absolute Mehrheit der Separatist­en im Parlament von Barcelona immer deutlicher abzeichnet, fragt der Mann in die Runde: „Geht das denn jetzt wieder von vorne los?“. Der überrasche­nde Erfolg der Unabhängig­keitsbefür­worter bei der Neuwahl in der Konfliktre­gion Katalonien hat Spanien in einen Schockzust­and versetzt. Die Zeitung „El País“sprach am Freitag von einer „ungewissen Zukunft“.

Der größte Verlierer der Wahl – darin waren sich am Freitag nahezu alle Kommentato­ren einig – heißt Mariano Rajoy. Der Plan des spanischen Ministerpr­äsidenten, den Konflikt mit „harter Hand“und ohne Dialog zu lösen, sei gescheiter­t, hieß es überall. Der 62-Jährige werde nicht ungeschore­n davonkomme­n.

Das Problem ist nicht nur die absolute Mehrheit der Separatist­en in Katalonien, mit der niemand gerechnet hatte. Rajoys Volksparte­i (PP) wurde nahezu aus Katalonien „vertrieben“. Sie verlor acht ihrer elf Parlaments­sitze und ist mit nur noch drei Vertretern schwächste Fraktion in Barcelona. Da kam schnell auch Kritik in den eigenen Reihen auf. Der regionale Regierungs­chef von Galicien, Alberto Núñez Feijóo, ein Partei-Schwergewi­cht, forderte „Selbstkrit­ik“. „Wir können nicht immer den anderen die Schuld geben“, sagte er.

„Rajoys größte Tragödie“betitelte Ruben Amón seine Kolumne in der Zeitung „El País“. Der Schriftste­ller sieht sogar seine politische Zukunft „kompromitt­iert“. Rajoy sei die Anwendung von Polizeigew­alt zur Verhinderu­ng des illegalen katalanisc­hen Unabhängig­keits-Referendum­s am 1. Oktober in Katalonien nicht verziehen worden.

Dass der von Rajoy als Regionalpr­äsident abgesetzte Carles Puigdemont nun als Spitzenkan­didat der Separatist­enpartei mit den meisten Stimmen ein Comeback wagen könnte, hatte in Spanien niemand für möglich gehalten. Zumal der 54-Jährige sich nach Brüssel abgesetzt hatte, um einer Festnahme wegen Rebellion, Aufruhr und Veruntreuu­ng öffentlich­er Gelder zu entgehen.

Wenn Puigdemont es schaffen sollte, sich innerhalb der vom Gesetz vorgeschri­ebenen Fristen bis Mitte April mit den anderen separatist­ischen Parteien auf eine Regierungs­bildung zu einigen und dabei Differenze­n auszuräume­n, könnten sich die Fronten zwischen Madrid und Barcelona weiter verhärten.

Die der PP nahestehen­de Zeitung „El Mundo“meinte, Rajoy werde vom „Debakel deutlich geschwächt“und werde nun vom „Gespenst der Neuwahlen“auf nationaler Ebene bedroht. Vor Journalist­en wies der Ministerpr­äsident diese Möglichkei­t am Freitag barsch zurück. Er denke nicht daran, sagte er auf Anfrage. Selbstkrit­ik?, fragte ein anderer Journalist. Keine. Verhandlun­gen mit Puigdemont?, wollte ein Dritter wissen. Nur auf Grundlage des Gesetzes.

Rajoy, politisch schon häufig totgesagt, führte sein Land in den vergangene­n Jahren aus einer schlimmen Wirtschaft­skrise und überstand außerdem viele Korruption­saffären. Obwohl seine PP 2016 die absolute Mehrheit im Madrider Parlament verlor, verstand es der Richtersoh­n aus Santiago de Compostela, das Regierungs­schiff stets gekonnt in ruhiges Fahrwasser zu bringen. Das könnte sich nun aber ändern.

Man kann sich um Rajoy, um die spanische Regierung und auch um die Stabilität der viertgrößt­en Volkswirts­chaft der Eurozone durchaus Sorgen machen. Kurzfristi­g sieht es aber vor allem für Katalonien heikel aus. „Die Versuchung, die absolute Mehrheit der Separatist­en in Treibstoff für eine Neubelebun­g des politische­n und sozialen Konflikts zu verwandeln, ist vorhanden“, warnt „El País“.

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FOTO: WHITE/AP/DPA Bedeutet die Wahlschlap­pe in Katalonien sein politische­s Ende? Der spanische Ministerpr­äsident Mariano Rajoy hatte im Nordosten des Landes auf eine klare Niederlage der Separatist­en gehofft. Doch es kam ganz anders.

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