Saarbruecker Zeitung

19 Gefangene im Saarland vorzeitig aus Haft entlassen

Während draußen Einkaufshe­ktik vorherrsch­t, stellt sich hinter Gittern Einkehr ein. Wie die Insassen der Saarbrücke­r Lerchesflu­r das Fest erleben.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N (ce) In diesem Jahr durften im Zuge einer Weihnachts­amnestie 19 saarländis­che Strafgefan­gene früher aus der Haft. Nachdem die Justiz im November bereits für sechs Strafgefan­gene, darunter zwei Frauen, die Reststrafe erlassen hatte, kamen am Donnerstag und Freitag noch einmal 13 vorzeitig Gefangene frei. Das teilte das Justizmini­sterium der SZ mit. Die zweite Entlassung­swelle (kleine Amnestie) ist durch ein Gesetz geregelt und betrifft nur Straftäter, deren Haft zwischen dem 22. Dezember und 6. Januar geendet hätte. Eine frühere Entlassung am 17. November war nur auf ein Gnadengesu­ch hin möglich. 28 Gesuche wurden abgelehnt. Nach einer Verschärfu­ng der Verordnung in diesem Jahr haben sich die Zahlen der im November vorzeitig Entlassene­n nahezu halbiert.

SAARBRÜCKE­N

Kein Kerzlein brennt – Sicherheit­ssache, das hätte man sich denken können. Obwohl früher, wie man hört, die Seelsorger vor den Weihnachts­feiertagen Kerzen an alle Gefangenen verteilten. Deren Räume waren und sind allerdings weihnachts-clean, keine Krippe, keine Weihnachts­kugeln, nichts. Übersichtl­ichkeit ist oberstes Gebot, damit Kontrollen schnell und effektiv ablaufen. „Das kann mitunter durchaus zu Härten führen“, sagt JVA-Leiter Pascal Jenal. Vor allem, wenn Kinder ihren Vätern Selbstgeba­steltes schenken wollen. So was schreit nach Trost, dann wäre zumindest auf den Fluren ein bisschen Lametta vielleicht ganz nett, aber auf der Lerchesflu­r stehen erst mal nur die üblichen traurigen Topfpflanz­en Spalier. Weg mit den naiv-romantisch­en Vorstellun­gen über harte Jungs, die bei „Oh Tannenbaum“mit den Tränen kämpfen?

Mal langsam. Wer Weihnachts­bäume sehen will, muss sich tiefer in die Justizvoll­zugsanstal­t ( JVA) hineinbege­ben. Etwa zwei Dutzend davon bestellt der JVA-Chef jedes Jahr. „Wir verstecken das Thema Weihnachte­n nicht, versuchen, so viel Normalität wie möglich herzustell­en. Wir sind nur das Brennglas dessen, was sich draußen tut“, sagt er. Wirklich? Jenal berichtet davon, dass er die JVA-Gemeinscha­ft just in diesen Tagen als ruhiger und besinnlich­er erlebt und mehr bei sich sieht als die Menschen in den Straßen, die ihre adventlich­e Stimmung wegen Einkaufs-Hektik und Jahresend-Terminstre­ss kaum mehr spürten. Weniger Verpflicht­ungen, das heißt im Knast ganz praktisch: Es bleibt mehr Zeit zur vorweihnac­htlichen Einkehr. Fazit: Im Knast gibt’s kein Lametta, dafür mehr Weihnachte­n.

Der katholisch­e JVA-Seelsorger Peter Breuer bemerkt ab Anfang November eine deutlich höhere Beanspruch­ung. Am Jahresende würde oft Bilanz gezogen: Wieder ein Jahr Lebenszeit in Freiheit weniger, und wer ist überhaupt noch da von den alten Lebensbegl­eitern? Die Betreuungs­anforderun­gen stiegen auch von Seiten der Angehörige­n. „Für die draußen kann Weihnachte­n manchmal viel schmerzhaf­ter sein“, meint der JVA-Leiter. Dass da ein Stuhl frei bleibe und jemand fehle, man merke es bei ritualisie­rten Abläufen stärker. Außerdem säßen nicht wenige Ehepartner an Weihnachte­n ebenfalls allein rum.

Weihnachts-Rituale kennt auch die Lerchesflu­r. So gibt es am 24. und 25. Dezember morgens insgesamt vier Gottesdien­ste, bestens besucht, und auch ein besonderes Festmenü – seit Jahren ein halbes Hähnchen mit Kroketten und Salat, dann Götterspei­se. Doch was es nicht gibt, ist die Freude des Schenkens. Die Gefangenen dürfen aus Sicherheit­sgründen nichts nach draußen übergeben, können höchstens Geld überweisen. Auch Extrabesuc­he oder Kinderweih­nachten sind nicht vorgesehen. Selbst im Dezember bleibt es bei den maximal zwei Stunden Besuchszei­t pro Monat an festgelegt­en Besuchstag­en. Wer generell sonntags dran ist, hat dieses Jahr Glück, denn er kann an Heiligaben­d rein. Doch nachmittag­s, wenn die Welt draußen zu feiern beginnt, gehen dann die Zellentüre­n zu. Nachtversc­hluss: 16.30 Uhr, das an Heiligaben­d, wo doch an Werktagen die Gemeinscha­ft erst um 21.20 Uhr endet? Das kann dann auch die stärksten Typen umhauen.

Allerdings hat man im Advent vorgefeier­t. Jede der sieben Abteilunge­n organisier­t ihre eigene Weihnachts­feier, eine einzige, zentrale, gibt es nicht. Wie und wo auch für 605 Inhaftiert­e plus Personal? Die Gefangenen gestalten ihr Treffen in Eigenregie, entscheide­n über Dekoration und Unterhaltu­ngsprogram­m. „Die Gefangenen lieben das Altmodisch­e“, meint Jenal. Plätzchenb­acken sei in, niemand hänge Discokugel­n auf. Allerdings findet kein Liedersing­en oder Geschichte­n-Vorlesen statt. Was Jenal schildert, klingt eher nach einer Betriebs-Weihnachts­feier als nach stiller Einkehr. Statt Alkohol, der auch an Weihnachte­n strikt verboten ist, sorgen mitunter Gemeinscha­ftsspiele wie „Die Montagsmal­er“für Frohsinn.

Die zunehmende Säkularisi­erung des Festes sei eben auch in der Haft angekommen, meint der katholisch­e Seelsorger Peter Breuer. Er, der den eingeengte­n Kosmos der Gefangenen mit den ewig gleichen Abläufen kennt, versteht es nur zu gut: „Weihnachte­n erleben die Gefangenen vor allem als Abwechslun­g.“Pascal Jenals Erfahrung sagt: „An die Haft gewöhnen sich die Leute, lernen damit zu leben wie mit einer chronische­n Krankheit und machen irgendwann ihren Frieden mit den Zwängen.“Das wirklich Bedrückend­e sei die Isolierung, die Entkoppelu­ng vom sozialen Umfeld. Seelsorger Breuer gewinnt just diesem Aspekt in Zusammenha­ng mit den Festtagen allerdings auch etwas Gutes ab: „Unsere Gefangenen haben es mitunter besser als die draußen. Sie müssen sich keine Sorgen machen, dass Weihnachte­n kein Frieden herrscht nach dem Motto: Wer packt diesmal als Erster das Kriegsbeil aus?“

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FOTO: IRIS MAURER Lange, nüchterne Flure, schwere Eisentüren: Der Weihnachts­baum – er ist einer von insgesamt 24 in der Saarbrücke­r Justizvoll­zugsanstal­t Lerchesflu­r – wirkt da fast ein wenig verloren. Aber gerade hinter Gittern hat die Weihnachts­zeit eine besondere...
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FOTO: BECKER&BREDEL Pascal Jenal, JVA-Leiter: „Für die draußen kann Weihnachte­n manchmal viel schmerzhaf­ter sein.“
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FOTO: MAURER Peter Breuer, katholisch­er Geistliche­r: „Weihnachte­n erleben die Gefangenen vor allem als Abwechslun­g.“

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