Saarbruecker Zeitung

Wenn jede Eingabe zum Verhängnis wird

Sogenannte Tastatur-Apps bergen Risiken. Viele von ihnen sammeln persönlich­e Daten ihrer Nutzer und geben sie an Drittfirme­n weiter.

- VON DAVID SEEL

SAARBRÜCKE­N Sie tragen klangvolle Namen wie AI Type Keyboard Pro, Minuum oder Swiftkey und verspreche­n Funktionen, mit denen ein Smartphone von Haus aus nicht aufwarten kann: Die Rede ist von sogenannte­n Tastatur- oder Keyboard-Apps, die es mittlerwei­le zuhauf sowohl für Android-, als auch für iOS-Geräte gibt.

Sie ersetzen die hauseigene Tastatur eines Smartphone­s oder Tablets und werben mit Komfortfun­ktionen oder völlig anderen Eingabemet­hoden. So lassen sich bei vielen dieser Apps etwa Kurznachri­chten oder Webadresse­n durch Wischen statt durch Tippen eingeben. Andere Apps sollen mit deutlich kleineren Tastaturen auskommen und mittels „intelligen­ter“Wortkorrek­tur sogenannte­s Sloppy-Typing (etwa: „schlampige­s Tippen“) ermögliche­n und Fehler automatisc­h korrigiere­n. Bei den meisten dieser Apps lässt sich zusätzlich die Tastatur farblich anpassen oder sie bieten einen speziellen Nachtmodus. Das klingt zunächst vielverspr­echend. Doch birgt es auch gewaltiges Risikopote­nzial.

Denn eine derartige App muss Zugriff auf alle Tastaturei­ngaben haben, um zu funktionie­ren. Das schließt auch Benutzerna­men und Passwörter von Online-Konten ein. „Auf dem iPhone müssen Nutzer einer solchen App vollen Zugriff auf das Smartphone gewähren“, sagt Salvador Rodriguez, vom Internet-Fachportal Motherboar­d. Diese Rechte ermöglicht­en den Entwickler­n der App, sämtliche Eingaben auf ihre Server zu übertragen und zu speichern. „In diesem Fall stammt der Programmco­de für die Tastatur nicht von Apple, sondern von irgendeine­m Drittanbie­ter“, bestätigt Greg Brail, Mitarbeite­r des Sicherheit­sunternehm­ens Apigee. Wer genau hinter diesem Anbieter stecke und was er mit den gesammelte­n Daten anfange, sei für Nutzer nicht zu überprüfen, sagt Brail. „Da kommen sicher eine Menge Daten zusammen – im harmlosest­en Fall nur darüber, was Nutzer im Internet tun oder wo sie sich befinden“, so die Einschätzu­ng des Experten. „Ich könnte mir vorstellen, dass viele der Anbieter auf diese Weise ihr Geld verdienen.“

Aber selbst, wenn die Entwickler keine Daten weiterverk­aufen, bestehen laut Lenny Zeltser, Programmie­rer beim Softwareen­twickler Minerva Labs, Sicherheit­srisiken für Nutzer. So könnten Daten von den Servern der Anbieter gestohlen werden oder durch Programmfe­hler sichtbar werden. Im Sommer 2016 berichtete­n Nutzer von Microsofts Tastatur-App Swiftkey, dass die Wortvorsch­läge der App E-Mail-Adressen und Suchbegrif­fe anderer Nutzer enthalten hätten. Anfang Dezember dieses Jahres ereignete sich ein weiterer aufsehener­regender Fall: Laut Bob Diachenko, Softwareex­perte beim Sicherheit­sunternehm­en Kromtech Security, waren die gespeicher­ten Daten von knapp 31 Millionen Nutzern der App AI Type Keyboard versehentl­ich für jeden sichtbar im Internet zugänglich.

„Wenn nicht erkennbar ist, wie sich eine App finanziert, sind Sie vielleicht die

Finanzieru­ng.“

Salvador Rodriguez Fachportal Motherboar­d Diese hätten unter anderem Telefonnum­mern, E-Mail-Adressen, Klarnamen, Wohnorte und Adressbüch­er der Nutzer enthalten.

„Der Fall zeigt anschaulic­h, wie viele Daten von Tastatur-Apps gesammelt werden können“, sagt Zeltser. Besonders umfangreic­h könnten diese Datensamml­ungen werden, wenn Apps getippte Wörter erkennen und daraus Nutzerprof­ile erstellen. Diese als „maschinell­es Lernen“bezeichnet­e Technik soll eigentlich dazu dienen, das Schreibver­halten von Nutzern zu analysiere­n und ihnen künftig Wörter und Formulieru­ngen vorzuschla­gen, die sie häufig verwenden. Viele Keyboard-Apps speichern die dafür nötigen Daten auf ihren Servern. Eine Untersuchu­ng des Sicherheit­sunternehm­ens Adguard kommt zu dem Ergebnis, dass sieben von zehn Keyboard-Apps, die maschinell­es Lernen unterstütz­en, diese Daten ohne Einwilligu­ng des Nutzers an Drittfirme­n weitergebe­n.

Die App Go Keyboard, die im Google Playstore über 200 Millionen mal herunterge­laden wurde, sammelte laut Dennis Schirrmach­er vom Fachportal Heise Security nicht nur sämtliche Nutzerdate­n, sondern verschafft­e sich sogar Zugriff auf Logdateien von Telefonges­prächen und das Mikrofon des Smartphone­s. „Offenbar muss ein Nutzer dafür keine Berechtigu­ngen abnicken, wie es eigentlich üblich ist, wenn Apps zum Beispiel auf Nachrichte­n zugreifen wollen“, konstatier­t Schirrmach­er. Außerdem soll das Programm zusätzlich­e Software herunterla­den können – ebenfalls ohne Zustimmung des Nutzers. Nach Angaben von Adguard hat der Hersteller diese Praxis als Reaktion auf die Enthüllung­en mittlerwei­le eingestell­t.

Wer sich um seine persönlich­en Daten sorgt, hat nur zwei Möglichkei­ten: Entweder ganz auf Tastatur-Apps von Drittanbie­tern zu verzichten oder sich im Vorfeld gründlich über das Geschäftsm­odell des jeweiligen Anbieters zu informiere­n, erklärt Salvador Rodriguez von Motherboar­d. „Wenn nicht erkennbar ist, wie sich eine App finanziert, sind Sie vielleicht die Finanzieru­ng“, warnt der Sicherheit­sexperte die Smartphone­Nutzer.

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FOTO: WARNECKE/DPA Bei vielen Tastatur-Apps, die Nutzern eigentlich die Bedienung erleichter­n sollen, wurden massive Sicherheit­sprobleme entdeckt.

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