Süße Verführungen aus der Wallonie
Schokolade, so weit das Auge reicht: Mehr als 400 Chocolatiers in Belgien zaubern köstliches Naschwerk aus der Kakaobohne.
EREZÉE Dort, wo alle Straßen enden und der tiefe Wald von Erezée beginnt, steht die Chocolaterie von Christiane und Philippe Defroidmont. Große und kleine Besucher drängen sich an der Glasscheibe, um einen Blick auf die Fertigung von Schokolade und Pralinen zu erhaschen. Vor mehr als zehn Jahren entschied sich der Bäckermeister, den Familienbetrieb in Haccourt bei Lüttich aufzugeben, alles hinter sich zu lassen und in der Einsamkeit des Dorfes Erezée-Briscol seine neue Existenz als Pralinenmacher aufzubauen.
„Anfangs hat man mich noch für verrückt erklärt“, erinnert sich Philippe Defroidmont. „Doch Pralinen und Schokolade sind nun mal meine große Leidenschaft.“Schnell sprach sich die Kunde von der neuen Chocolaterie in der Gegend um Erezée herum und heute beliefern die Defroidmonts mit ihrem köstlichen, dunkelbraunen Naschwerk Bäckereien und kleine Lebensmittelläden in der gesamten Region.
Rund 12 000 Besucher pro Jahr kommen in Defroidmonts Pralinenparadies, in dem eine Multimediaschau die Herstellung der Praline von der Kakaobohne über den langen Weg bis in Belgiens süße Manufakturen anschaulich darstellt. Die Besucher kommen aus Frankreich, Luxemburg und Deutschland in das 2800-Einwohner-Dorf. Und natürlich aus Belgien selbst. Denn Belgien und Pralinen gehören zusammen wie der sprichwörtliche Deckel zum Topf.
In Brüssel stellte der Schweizer Jean Neuhaus 1857 erstmals das mit Butter und Sahne gefüllte Schokoladenkonfekt her. Der Legende nach gilt Neuhaus damit als einer der Erfinder von belgischen Schokopralinen. Der süße Fortschritt geschieht im Keller der kleinen „Confiserie et Chocolaterie“in der Galerie de la Reine 23, die in jenen Jahren eine der ersten überdachten und luxuriösen Einkaufspassagen Europas war. Seitdem zählen Pralinen und Schokolade zur Kultur der Nachbarn. Pralinen gelten anstelle von Blumengrüßen als willkommenes Mitbringsel bei Besuchen der Verwandtschaft. Sie bahnen mitunter geschäftliche Kontakte an oder sie werden zu Hause nach einem üppigen, sonntäglichen Mittagessen zum Kaffee serviert.
Mehr als 400 Chocolatiers halten heutzutage in Belgien die handsein werkliche Tradition neben den großen Marken wie Neuhaus, Godiva und Leonidas in Ehren. Manch einer der Pralinen-Macher kam erst auf Umwegen zu seiner Kunst, erfahren Reisende bei der süßen Spurensuche in der Wallonie. „Mein erster Beruf war Buchhalter, doch als Chocolatier habe ich meinen Traumberuf gefunden“, erzählt Yves Lemaire in dem Dörfchen Samrée bei La Roche-en-Ardenne. Im Alter von 30 Jahren ließ er sich umschulen und nennt sich heute Chocolatier Cyril, gebildet aus den Buchstaben C wie Chocolat, Y wie Vorname Yves und L nach dem Familiennamen Lemaire. „Cyril“ist fasziniert von den Geheimnissen rund um Kakaobohnen, Schokolade und Pralinen. Seine Begeisterung über das kalorienreiche Naschwerk gibt er bei Vorträgen über die Handwerkskunst an die Besucher seiner kleinen Manufaktur weiter.
Während für viele der Pralinenmacher in den Wochen um Weihnachten und Neujahr Hauptsaison ist, hat der Chocolatier das ganze Jahr über gut zu tun: Personalisierte Schokoladetafeln sind der Hit von Lemaire. „Die Kunden können die Verpackung am Computer selbst gestalten, mit Glückwünschen, Fotos und Gedichten.“
Wie viele Chocolatiers hat auch Jean Galler in Vaux-sous-Chèvremont bei Lüttich seine Wurzeln in der elterlichen Bäckerei. Heute steht er als Hoflieferant des belgischen Königshauses in der ersten Reihe der Pralinenmacher. Mit eigenen Verkaufsstellen in Belgien, Frankreich, Japan und den GolfEmiraten sieht sich Galler auch heute noch in der Tradition der Pralinenmeister: „Bis vor 30 Jahren war noch die Schweiz bei Schokolade und Pralinen führend, heute sind es wir Belgier.“
Weitaus ungewöhnlicher sind die Geschmacksnoten von Edouard Bechoux in Florenville. So lässt der Chocolatier bei seinen Seminaren auch schon mal Pralinen mit Rosmaringewürz zu bitterem Abteibier servieren. Auf Reservierung weiht der Meister-Chocolatier in die Kunst des Pralinenmachens ein. Teilnehmer erfahren dabei, wie viel Handarbeit in ihnen steckt. Und am Ende eines Tages können sie dann selbst welche herstellen.