An der AfD ist vieles normal, bis auf den Hass
Die AfD lässt die Abgrenzung nach Rechtsaußen im Ungefähren und arbeitet mit bewussten Tabubrüchen. 2017 hat sich das verstärkt. Ein sehr persönlicher Bericht.
BERLIN Man muss mit Aydan Özoguz (SPD) nicht übereinstimmen. Dass, wie die Staatsministerin für Integration im Sommer schrieb, eine spezifische deutsche Kultur jenseits der gemeinsamen Sprache angesichts der Vielfalt der Regionen „schlichtweg nicht zu erkennen“sei, finde ich falsch. Ich sehe da doch viele Gemeinsamkeiten. Auf die meisten darf man auch dann stolz sein, wenn man nicht rechts ist. Zum Beispiel auf die große Akzeptanz für das Grundgesetz. Oder auf die Bereitschaft zur aktiven Aufarbeitung der NS-Zeit. Auch das verbreitete Verlangen nach sozialer Gerechtigkeit wäre zu nennen. Und die sehr selbstverständliche Gleichberechtigung. Es gibt viele solcher Identitäten.
Freilich, mit jener Leitkultur, die AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland meinte, als er in Thüringen im August über Özoguz sagte: „Ladet sie mal hier ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist“, hat das alles nichts zu tun. Deutschland ist viel weiter als das Publikum, das lachte, als Gauland so tat, als könne er den Namen der Staatsministerin nicht aussprechen. Ich war damals einer von zwei Journalisten im Saal. Hinter mir grienten welche schenkelklopfend: „Ösebus, Bösebus“. Das ist nicht das Niveau Deutschlands. Das ist nicht die Leitkultur eines Landes, das de Maizières, Özils, Di Fabios, M’Bareks hat. Das eine der angesehensten Kulturund Handelsnationen der Welt ist. Es ist auch nicht das Niveau des Eichsfeldes. Als Özoguz die Region im November besuchte, ich war wieder dort, erlebte sie viele engagierte Bürger, die ihr sehr freundlich begegneten. Nur vier AfD-ler protestierten gegen sie. „Lieber Eichsfeld-Kultur als Kültür vom Bospurus“, stand auf ihrem Schild.
Viele Menschen kennen Özoguz nicht. Sie wissen nicht, dass sie in Hamburg geboren ist, so wie Angela Merkel und Helmut Schmidt. Dass sie Hamburger Dialekt spricht. Sie war bis Anfang dieses Jahres mit dem katholischen Hamburger Innensenator Michael Neumann verheiratet. Wenn Gauland sagt, man solle diese Frau „nach Anatolien entsorgen“, wirft er sie zurück auf das Herkunftsland ihrer Eltern. Özoguz ist für ihn qua Herkunft und islamischer Religionszugehörigkeit keine Deutsche und kann es auch niemals werden. Das ist rassistisch. Gauland würde sicher auch (den in Berlin geborenen) Jérome Boateng nach Afrika entsorgen. Aber auch Helene Fischer nach Russland und Lukas Podolski nach Polen? Wo endet das?
Ich war in diesem Jahr auch bei den AfD-Parteitagen in Köln und Hannover. Draußen viele Demonstranten, harte Nazivergleiche. Ich finde das übertrieben. Das sind keine Nazis. Wenn man mit den Delegierten redet, lernt man sehr unterschiedliche Leute kennen. Es gibt besserwisserische Professoren, die den Euro abschaffen wollen, und Menschen, die mit der Flüchtlingspolitik nicht einverstanden sind. Es gibt Islamkritiker, es gibt Kirchengegner und Gegner der TV-Gebühr. Es gibt Karrieristen und Fundamentalisten. Es gibt auch Lesben und Schwule. Einer von ihnen, ein Landtagsabgeordneter, sagte mir, er habe sich mal eine Pegida-Demo angesehen, aber lieber nur aus der Ferne. Er wolle mit diesen Leuten nichts zu tun haben. Es sind seine Wähler.
Die Parteitage sind detailversessen, es gibt viele Macht- und Grabenkämpfe. Eins habe ich bei den Parteitagen anderer Parteien aber nie erlebt: Hass gegen den gesamten Rest des politischen Spektrums. Vom Rednerpult in Köln sagte Spitzenkandidatin Alice Weidel: „Schluss mit der politischen Korrektheit“. Und auf dem Pissoir hörte ich einen AfD-ler zu einem anderen sagen: „Man muss diesem ganzen rot-grünen Gesockse da draußen mal vor die Schnauze hauen.“„Genau“, antwortete der. Seit ihren Anfängen hat sich die AfD sehr verändert. Sie ist nicht harmlos. Sie lässt nach rechts großen Spielraum. Ganz bewusst geschieht das – und von ganz oben.
Viele wissen nicht, dass Aydan Özoguz in Hamburg geboren ist, so wie Angela Merkel.