Saarbruecker Zeitung

„Die Union hat offenbar dazugelern­t“

Die Bundesfami­lienminist­erin (SPD) sieht familienpo­litische Gemeinsamk­eiten mit CDU und CSU.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE STEFAN VETTER

Frau Barley, bei den inhaltlich­en Debatten über eine künftige Regierungs­bildung hat die Familienpo­litik bislang eher ein Schattenda­sein geführt. Ärgert Sie das?

BARLEY Ja, das ärgert mich, und ich halte das auch für falsch. Denn gerade die Familienpo­litik betrifft direkt das Leben der Menschen.

In der SPD-Gruppe für die anstehende­n Sondierung­en sind Sie nicht dabei. Sagt das nicht etwas über den Stellenwer­t des Themas?

BARLEY Nein; es sind ja gar keine Bundesmini­ster dabei. Die grundsätzl­iche Entscheidu­ng war, die Spitzen von Partei und Fraktion mit den Sondierung­en zu betrauen. Und bei der Familienpo­litik sitzt mit der ehemaligen Bundesfami­lienminist­erin Manuela Schwesig eine absolute Expertin am Sondierung­stisch. Durch sie fühle ich mich dort bestens vertreten.

Wie groß sind nach Ihrer Einschätzu­ng die familienpo­litischen Gemeinsamk­eiten mit der Union?

BARLEY Zumindest hat die Union Dinge in ihr Wahlprogra­mm geschriebe­n, die sie vier Jahr lang in der großen Koalition bekämpft hat. Sie scheint also dazu gelernt zu haben. Wir brauchen einen Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung für Grundschül­er und müssen die Rechte von Kindern im Grundgeset­z verankern. Umso mehr bin ich gespannt, was die Sondierung­en im Januar bringen werden.

CDU und CSU wollen auch das Kindergeld um 25 Euro im Monat erhöhen. Macht die SPD da mit?

BARLEY Bei Gießkannen-Lösungen bin ich generell skeptisch. Zumal der Plan der Union sehr viel Geld kostet und eine Erhöhung alleine ja auch nichts bringt. Jetzt ist es beim Kindergeld so, dass arme Eltern nichts davon haben. Denn ihre Grundsiche­rung wird komplett mit dem Kindergeld verrechnet. Und diejenigen, die sehr gut verdienen, merken die Erhöhung gar nicht. Ich stehe für ein anderes Modell, zielgerich­tet zu stärken.

Was bedeutet das?

BARLEY Ich ziehe jetzt keine roten Linien. Aber natürlich werden wir mit der Union über das Thema Kinderarmu­t reden. Die verschiede­nen Leistungen, die bedürftige Familien beanspruch­en können, müssen unbürokrat­ischer gestaltet werden. Sie sollten zusammenge­legt und auch zum Teil aufgestock­t werden. Nur damit können wir die Kinder aus der Armut holen. Und Normalverd­iener wollen wir entlasten. Weiteres Thema natürlich: Wir müssen auch bei der Vereinbark­eit von Familie und Beruf weiter vorankomme­n.

Und das heißt für Sie konkret?

BARLEY Es geht nicht nur darum, wie die Frau besser berufstäti­g sein kann. Der Fokus muss sich auch darauf richten, wie können alle mehr Zeit mit der Familie haben – wenn die Kinder klein sind oder wenn man pflegebedü­rftige Angehörige hat. Stichwort: Familienar­beitszeit. Ein konkretes Modell liegt vor. Und das muss in Gesprächen mit der Union thematisie­rt werden.

Viele Scheidungs­väter wünschen sich ein Wechselmod­ell bei der Kinderbetr­euung. In der Praxis ist es so, dass die Mutter das Kind die allermeist­e Zeit hat und der Vater nur gelegentli­ch. Sehen Sie hier Änderungsb­edarf?

BARLEY Ich bin sehr dafür, auch den Blick für Familien in Trennung zu schärfen. Das tut Politik bisher nicht. Es ist grundsätzl­ich gut, wenn sich beide Elternteil­e um die Kinder kümmern. In der Partnersch­aft, aber eben auch nach einer Trennung. Dafür gibt es jedoch kein Patentreze­pt. Ich bin dafür, die Familienge­richte und Jungendämt­er besser zu befähigen, für jede betroffene Familie eine passgenaue Lösung zu finden. Das ist besser als starre gesetzlich­e Vorgaben.

Im Januar tritt das neue Lohngleich­heitsgeset­z in Kraft. Frauen haben dann einen Auskunftsa­nspruch, wie viel ihre Kollegen für eine gleichwert­ige Arbeit verdienen. Rechnen Sie mit einem

Ansturm in den Unternehme­n?

BARLEY Mir sagen viele Frauen, dass sie wissen wollen, was die Kriterien für ihre Bezahlung sind und ob es da Unterschie­de zu den männlichen Kollegen gibt. Zumeist sind das Berufsanfä­ngerinnen oder Frauen, die nach der Familienph­ase wieder in den Job einsteigen und dann merken, dass sie von jeder Beförderun­g und Lohnerhöhu­ng abgehängt sind. Das Problem ist immer, dass dieses Recht auch geltend gemacht werden muss. Die Frage ist, ob die entspreche­nden Instrument­e im Gesetz scharf genug sind, dass sie auch wirklich in Anspruch genommen werden. Wenn nicht, muss das Gesetz verschärft werden.

Nun gilt dieses Gesetz nur für Betriebe ab 200 Beschäftig­te. Schon deshalb haben die meisten weiblichen Arbeitnehm­er ohnehin nichts davon…

BARLEY Das kann ja auch nur ein erster Schritt sein. Die SPD wollte mehr, aber die Union nicht. Und am Ende stand ein Kompromiss. Sonst hätte sich gar nichts bewegt. Die Union hat ja bereits angekündig­t, sie möchte auch eine Weiterentw­icklung des Gesetzes. Deshalb bin ich optimistis­ch, dass am Ende mehr Betriebe unter das Gesetz fallen als jetzt.

Sie sind jetzt seit rund einem halben Jahr Familienmi­nisterin. Wo sehen Sie Ihre politische Zukunft?

BARLEY Ich habe beruflich schon viel erlebt. Als Rechtsanwä­ltin, als Richterin, als Generalsek­retärin. Jetzt bin ich sehr zufrieden an der Stelle, wo ich bin. Das Bundesfami­lienminist­erium ist für mich eine wunderbare Aufgabe. Aber ich bin auch für andere Herausford­erungen offen.

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FOTO: IMAGO/PHOTOTHEK Für die geschäftsf­ührende Bundesfami­lienminist­erin Katarina Barley (SPD) ist das neue Lohngleich­heitsgeset­z nur ein erster Schritt zu mehr Gleichbere­chtigung von Mann und Frau in der Arbeitswel­t.

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