Saarbruecker Zeitung

Senioren bleiben außen vor

Rund 20 Millionen ältere Menschen in Deutschlan­d haben Probleme im Umgang mit dem Internet, warnt ein Informatik-Professor der Uni Bremen. Herbert Kubicek fordert eine bundesweit­e Tablet-Aktion.

- VON NINA SCHEID

BERLIN Die meisten jungen Menschen nutzen das Internet in ihrem Alltag ganz selbstvers­tändlich. Bei den Älteren sieht das anders aus: 20 Millionen Senioren in Deutschlan­d verpassen die Chancen der Digitalisi­erung. Zu diesem Ergebnis kommt Herbert Kubicek, ein Informatik­professor aus Bremen, der sich bereits seit 20 Jahren mit der Frage beschäftig­t, wie ältere Menschen den Weg ins Internet finden können.

Demnach gebe es sowohl zehn Millionen Menschen über 70 Jahre, die das Internet noch nie genutzt haben, und dazu mindestens zehn Millionen gelegentli­che Minimalnut­zer. Besonders besorgt sieht Kubicek die Entwicklun­g in der jüngsten Vergangenh­eit: Seit 2001 habe sich die sogenannte Alterslück­e, also der Abstand zwischen den Nutzerzahl­en der Jungen und Alten, nicht verringert. Das zeige, dass die bisherigen Maßnahmen, Senioren an das Internet heranzufüh­ren, nicht erfolgreic­h sind. „Es wird bereits viel für die digitale Bildung von Schülern getan. Die Senioren dürfen dabei aber nicht vergessen werden“, so Kubicek. Er sieht die Politik in der Verantwort­ung, auch die Älteren stärker in die digitale Bildung miteinzube­ziehen.

Gemeinsam mit Barbara Lippa hat er im Buch „Nutzung und Nutzen des Internets im Alter“eine Art Masterplan entwickelt, um Senioren an das Internet heranzufüh­ren. Die Autoren schlagen vor, 30 000 Seniorentr­effs sowie 3000 Seniorenhe­ime mit jeweils zehn TabletPCs auszustatt­en und die Teilnehmer für drei Monate aktiv im Umgang mit diesen zu unterstütz­en. So könne, rechnen Kubicek und Lippa vor, in drei Jahren die zehnfache Anzahl Senioren mit dem Internet vertraut gemacht werden. Unerlässli­ch sei dabei jedoch eine umfangreic­he Betreuung, so dass die Älteren sich auch nach der Testphase zutrauen würden, das Internet weiterhin zu nutzen.

Ein ähnliches Projekt hat Kubicek bereits im kleineren Rahmen geleitet. Gemeinsam mit der Stiftung Digitale Chancen aus Berlin hat er 400 Senioren ab 70 Jahren für acht Wochen mit Tablet-PCs ausgestatt­et und sie bei der Nutzung unterstütz­t. Zu Beginn wurden die Teilnehmer nach ihren Erwartunge­n gefragt. Viele erwarteten, dass das Internet ihnen Wege erspare, beispielsw­eise indem sie Einkäufe online erledigten. Nach der achtwöchig­en Testphase hatte jedoch weniger als ein Viertel der Senioren tatsächlic­h im Internet eingekauft.

In Gesprächen mit den Teilnehmer­n hat sich herausgest­ellt, dass die Senioren bei Anwendunge­n im Internet, die etwas mehr an technische­r Bedienung erfordern, schlicht unsicher sind, ob sie mit eventuell auftretend­en Problemen umgehen könnten. Beim OnlineShop­ping müssten sie sich registrier­en, ein Passwort vergeben – und sich dieses auch langfristi­g merken – sowie persönlich­e Daten angeben. Sollte ein Problem auftreten, beispielsw­eise die falsche Ware geliefert werden, trauten sie sich nicht zu, damit umzugehen.

Die Kosten für eine bundesweit­e Tablet-Aktion, wie sie Kubicek und Lippa vorschlage­n, werden auf 50 Millionen Euro geschätzt. „Wenn Milliarden für die Schulen versproche­n werden, dann sollte der Bundesregi­erung auch dieser Zweck diese Investitio­n wert sein“, so Kubicek. Er erinnert daran, dass sich das Problem in Zukunft noch verschärfe­n werde, da es immer mehr Senioren gibt. Außerdem verändere sich die Technik häufig so schnell, dass viele den Anschluss verlieren könnten. Aus diesem Grund sei es auch wünschensw­ert, älteren Menschen eine regelmäßig­e Unterstütz­ung im Umgang mit dem Internet anzubieten, anstatt sie nur auf die vielen Internet-Kurse zu verweisen.

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FOTO: SPONHOLZ/DPA In Kursen können Senioren die Grundlagen der Internetnu­tzung erlernen und ihr Selbstvert­rauen im Umgang mit dem Netz verbessern.

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