Saarbruecker Zeitung

Was 2017 in Europa und im Saarland wichtig war

2017 war ein heikles Jahr für die EU. Seit dem Brexit-Votum der Briten steht ihr Fortbestan­d infrage. Nun bedrohen auch Rechte bei nationalen Wahlen die Einheit. Hoffnung macht Emmanuel Macron.

- VON DETLEF DREWES UND PASCAL BECHER

Die SZ bilanziert die Ereignisse und Entwicklun­gen der vergangene­n zwölf Monate nun täglich zwischen Weihnachte­n und Silvester. Heute geht es um Europa, Unglücke und Feste im Saarland und um gefallene Stars.

(SZ/dpa) Es ist ein kühler Septembera­bend in Talinn. Man sitzt zusammen bei Black Angus Rind an Auberginen­kaviar und Wacholders­auce und staunt – über Emmanuel Macron. Der junge Franzose macht mit seinen forschen Reformvors­chlägen, die er vor der Abreise in einer Rede an Studenten der Pariser Sorbonne-Universitä­t formuliert hat, mächtig Wirbel beim Abendessen der 28 Staats- und Regierungs­chefs in der Hauptstadt Estlands. Mehr Europa forderte er dabei ein. „Das Europa, wie wir es kennen, ist zu schwach, zu langsam, zu ineffizien­t.“Seine Lösung: Die „Neubegründ­ung“des Staatenbun­des. Was?

Macrons Worte lösen beim Gipfel in Talinn durchaus Unbehagen aus. Aber sie werden der kriselnden EU am Ende Mut machen. Denn die Monate zuvor regierte im Staatenver­bund die Angst. Nach dem Ausstiegs-Votum der Briten 2016 fürchteten viele einen Domino-Effekt. Gerade in diesem so wichtigen EU-Jahr 2017. Mit zentralen Wahlen in Deutschlan­d und Frankreich sowie Österreich und den Niederland­en. Die alles entscheide­nde Frage: Wie stark würden die Gegner Europas? Die unbequeme Wahrheit: Sie sind stärker geworden. Die Rechten und EU-Feinde haben 2017 vielfach in den Parlamente­n Europas zugelegt. Nur: Brüssel gelähmt haben sie nicht.

Zu verdanken hat die EU das auch dem politische­n Newcomer aus Paris. Es ist Macrons Wahl, die noch in der ersten Jahreshälf­te ein Signal gibt. Ausgerechn­et er, ein ehemaliger Investment­banker und Außenseite­r gewinnt als 39-Jähriger die Präsidente­nwahl im EU-Schlüssels­taat Frankreich mit einer Pro-EU-Kampagne. Haushoch gegen die rechte Europa-Feindin Marine Le Pen, der lange Chancen eingeräumt wurden. Eine Schmach, die die kühle blonde Front-National-Chefin noch nicht verwunden hat.

Aber auch andernorts stemmten sich Politiker 2017 gegen Versuche, die EU zu zerreden oder gar Auflösungs­erscheinun­gen aufkommen zu lassen. Etwa in den Niederland­en. Hier wiesen Ministerpr­äsident Mark Rutte und seine konservati­v-liberale VVD bei der Parlaments­wahl die extremen Rechtspopu­listen von Geert Wilders in die Schranken. Zudem mahnten die EU-Spitzenver­treter die Mitgliedst­aaten ein ums andere Mal, sich bei den Brexit-Verhandlun­gen nicht auseinande­rdividiere­n zu lassen. Auch das gelang, nicht zuletzt dank katastroph­aler britischer Verhandlun­gsführung. Nichts kennzeichn­ete die Situation mehr als das Bild der beiden Delegation­sleiter, das wohl auch ein wenig inszeniert war, aber der Sachlage entsprach: Auf dem Tisch vor Michel Barnier, dem EU-Beauftragt­en für den Austritt des Königreich­es, türmten sich Aktenberge. Ihm gegenüber saß der Londoner Brexit-Minister David Davis – vor ihm gähnende Leere. Die britische Regierung erschien immer wieder unvorberei­tet und ohne Angebot in Brüssel. Lange ging es so weiter. Bis nicht mehr Davis, sondern Premier Theresa May selbst das Heft in die Hand nahm – am Ende gab es im Dezember den Durchbruch. Oder wie die EU-Kommission es ausdrückte: Die Gemeinscha­ft hatte sich mit ihren Forderunge­n durchgeset­zt.

Geschlosse­nheit als Erfolgsrez­ept – das funktionie­rt tatsächlic­h. Wie ein weiterer gefährlich­er Konflikt zeigte: Katalonien. Eine illegale Volksabsti­mmung, die keine war, ein überforder­ter spanischer Ministerpr­äsident, dem man in der Krise den Rücken stärkte, ein katalonisc­her Regierungs­chef, der nach Brüssel flüchtete und dort fortan auf ein Gespräch mit der EU-Führung wartete – vergeblich. Zu groß war die Furcht der Staatsund Regierungs­chefs, dass sich der Autonomie-Virus rasend schnell ausbreiten, Schotten, Flamen, Basken und Südtiroler infizieren könnte. Katalonien – ein Fieber, das man erst einmal im Keim ersticken konnte, das allerdings auch nach der Parlaments­wahl im Dezember nicht geheilt scheint.

Europa demonstrie­rte auch gegen die Türkei Stärke. Dabei braucht Europa Ankara eigentlich als Partner. Stichwort: Flüchtling­sdeal. Nur so kann der Kontinent die Balkan-Route effektiv schließen. Ein Muss, denn die massive Einwanderu­ng durch syrische Kriegsflüc­htlinge wirkte wie ein Katalysato­r auf das Erstarken rechter Strömungen in Europa. Ungarns Präsident Viktor Orban profitiert­e von dieser Anti-Stimmung. Der junge Sebastian Kurz konnte mit seiner harten Linie überrasche­nd die Nationalra­tswahl in Österreich gewinnen – und die AfD zweistelli­g ins Parlament einziehen. Doch weil Recep Tayyip Erdogan die Türkei im Eilverfahr­en in einen autoritäre­n Präsidials­taat umbaute, musste Europa reagieren. Die riskante, da folgenschw­ere Reaktion Brüssels lautete: So wird das nichts mehr mit der Türkei und der Mitgliedsc­haft in der EU.

Längerfris­tige Folgen für Europa hat sicher der Antrittsbe­such des neuen US-Präsidente­n Donald Trump im Mai. Der Amerikaner verteilte allen diplomatis­chen Gepflogenh­eiten zum Trotz gegenüber EU und Nato einen Rüffel nach dem anderen. Forderte mehr Geld fürs Verteidigu­ngsbündnis und drohte wild. Mit der Reaktion dürfte er nicht gerechnet haben: Innerhalb weniger Monate stampfte Europa ein eigenes Militärbün­dnis aus dem Boden: die Pesco. Anfangs war nur die Rede davon, günstig Waffen und andere Kriegsmasc­hinen anzuschaff­en. Am Ende auch von einer europäisch­en Armee. Die sollte aber weniger verteidige­n (und schon gar nicht angreifen), sondern ist für den demokratis­chen Aufbau in Krisenregi­onen gedacht. Ende des Jahres besiegelte­n 25 Mitgliedst­aaten eine neue Allianz: Das Projekt schaffte ein neues Gemeinscha­ftsgefühl.

Und so geht Europa – abgesehen von anhaltende­n Zerwürfnis­sen in der Flüchtling­sfrage und einem Strafverfa­hren gegen Polen – einigermaß­en gestärkt ins neue Jahr. Doch ist nicht absehbar, wie lange das anhalten kann: Die Anti-Brüssel-Stimmung in einigen östlichen Mitgliedst­aaten wie Polen und Ungarn wächst. Und die Bereitscha­ft der Übrigen, mangelnde Solidaritä­t mit Subvention­skürzungen zu rächen, auch. Ein weiter Weg also noch zu Europas „Neubegründ­ung“.

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FOTO: IMAGO Macrons Stärke ist seine Unverbrauc­htheit. Seine Schwäche, dass er noch unerfahren ist im politische­n Ränkespiel. In Europa konnte Frankreich­s Präsident seine Stärke ausspielen, im Land selber geht seine Popularitä­t nach unten.
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FOTO: FOHRINGER/DPA Jung und aufstreben­d: Sebastian Kurz von der ÖVP. Die Österreich­er standen bei der Parlaments­wahl hinter ihm und seinem Flüchtling­s-kritischen Kurs.
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FOTO: DANA/DPA Gemeinsam für die Autonomie: Mit erhobenen Händen drängten diese Katalanen Anfang Oktober in die Wahlbüros, um für die Unabhängig­keit zu stimmen.
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FOTO: MAYO/DPA Ein symbolisch­es Bild: EU-Kommission­sschef Jean-Claude Juncker zeigt Briten-Premier Theresa May den Weg – aus der EU.
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FOTO: IMAGO Rechtspoli­tikerin Marine Le Pen setzte in Frankreich­s Wahlkampf auf Angst. Ihre Landsleute hielten dagegen.

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