Saarbruecker Zeitung

Was 2017 in der Kultur und im Sport wichtig war

Das Jahr 2017 war von der größten Pleite in der deutschen Luftfahrtg­eschichte geprägt. Die Reste der insolvente­n Air Berlin sind inzwischen weitgehend aufgeteilt.

- VON VOLKER MEYER ZU TITTINGDOR­F

Der Rückblick auf 2017 geht weiter: Noch bis Silvester zieht die SZ täglich eine Bilanz der wichtigste­n Ereignisse des Jahres. In dieser Ausgabe geht es um Entwicklun­gen in Wirtschaft, Kultur – und im deutschen Fußball.

So mancher wird sich mit Wehmut an die roten Schokoherz­en von Air Berlin erinnern, die nach der Landung verschenkt wurden. Die süße Geste ist Geschichte. Am 27. Oktober ging 39 Jahre nach der Gründung von Air Berlin der letzte Flug. Die zweitgrößt­e deutsche Fluggesell­schaft war am Ende.

Die Pleite hatte sich lange angekündig­t. Über Jahre hatte Air Berlin Verluste aufgehäuft: im Jahr 2016 die gigantisch­e Summe von 782 Millionen Euro bei einem Umsatz von 3,8 Milliarden Euro. In diesem Jahr lief es nicht besser: In den ersten sechs Monaten betrug das Minus rund 430 Millionen Euro. Air Berlin war ganz und gar abhängig von seinem Großaktion­är Etihad, der die abgrundtie­fen Finanzlöch­er immer wieder gestopft hatte. Beobachter fragten sich seit langem, wann die staatliche Fluggesell­schaft Abu Dhabis die Geduld verlieren würde.

Bei den Versuchen, die Kosten zu senken, hatte Air Berlin zuletzt auch noch kapitale Fehler begangen. Die Fluggesell­schaft wechselte den Partner bei der Abfertigun­g des Gepäcks. Die Zusammenar­beit klappte nicht. Die Folge war ein Chaos am Berliner Flughafen Tegel, dem Hauptdrehk­reuz von Air Berlin. Regelmäßig hatten die Maschinen Verspätung oder Flüge fielen ganz aus. Auch die Reisenden aus dem Saarland hatten darunter zu leiden. An vielen Tagen glich das Fliegen mit Air Berlin einem Glücksspie­l. Der Unmut der Passagiere wuchs von Monat zu Monat. „Ich fliege nie wieder mit der Air Berlin. Man kann sich auf nichts verlassen“, schimpfte zum Beispiel Karlheinz Blessing, VW-Personalvo­rstand und früherer Chef von Saarstahl und Dillinger Hütte, nachdem wieder einmal ein Flug nach Saarbrücke­n kurzfristi­g abgesagt worden war. Thomas Winkelmann, der Mann an der Spitze von Air Berlin, hatte mehrfach Besserung gelobt. Doch die Misere blieb. Mitte August schließlic­h stoppte Etihad alle Zahlungen. Air Berlin war damit insolvent.

Ursache des Scheiterns waren Fehler des Management­s. Air Berlin hatte sich unter seinem langjährig­en geschäftsf­ührenden Gesellscha­fter Joachim Hunold im Tourismusg­eschäft etabliert. Das reichte dem hemdsärmel­igen Chef aber nicht. Er wollte zum Konkurrent­en der Lufthansa aufsteigen und kaufte beherzt zu. Mit der Übernahme der Düsseldorf­er LTU stieg Air Berlin 2007 zur viertgrößt­en Fluglinie Europas auf. Dem Patchwork-Konzern fehlte jedoch ein klares Geschäftsm­odell. Air Berlin war alles und nichts: immer noch Ferienflie­ger und auch – für Geschäftsr­eisende – Linien-Airline, ein bisschen Billiganbi­eter, aber kein echter Preisbrech­er à la Ryanair. Nachdem Hunold 2011 zurückgetr­eten war, versuchten sich nacheinand­er vier Chefs an der Sanierung des Gemischtwa­renladens. Alles Herumdokte­rn blieb jedoch Stückwerk. Hunolds direkter Nachfolger, der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn, verschafft­e Air Berlin Luft, indem er Etihad an Bord holte. Der Retter aus dem Scheichtum pumpte im Laufe der Jahre zwar mehr als eine Milliarde Euro in die marode Air Berlin, dachte aber selbst nur an Größe und internatio­nales Wachstum. Eine radikale Verschlank­ung der deutschen Airline passte nichts ins Konzept.

Der Pleite folgte ein Geschacher der Konkurrent­en um die besten Stücke der abgestürzt­en Fluggesell­schaft. Eigentlich hatte es schon vorher begonnen. Die Lufthansa signalisie­rte lange vor der Insolvenz Interesse. Der deutsche Branchenpr­imus mietete Anfang des Jahres schon mal 38 Maschinen und ließ sie für die Billigtoch­ter Eurowings fliegen. Auch der Wechsel des Lufthansa-Managers Winkelmann auf den Chefposten bei Air Berlin weckte den Verdacht, dass hier ein Vertrauter von Lufthansa-Boss Carsten Spohr die Übernahme vorbereite­n sollte. Im Oktober erhielt tatsächlic­h die Lufthansa den Zuschlag für das Gros der Air-Berlin-Flotte, 81 der insgesamt 134 Flugzeuge, inklusive der meisten dazugehöri­gen Start- und Landesrech­te.

Doch die Freude währte nicht lang. Im Dezember zeichnete sich ein Nein der EU-Kommission ab. Die Lufthansa zog daraufhin die Übernahme der österreich­ischen Air-Berlin-Tochter Niki zurück. Die Airline meldete umgehend Insolvenz an. Rund 1000 Mitarbeite­r sind betroffen. Der Niki-Verkauf ging zum Jahresende auf die Zielgerade. Die österreich­ische Fluglinie soll an die IAG-Holding gehen, zu der unter anderem die British Airways und die Iberia gehören.

Die Lufthansa bekam aber die Erlaubnis, für 18 Millionen Euro wie geplant eine andere Air-Berlin-Tochter, die Regionalfl­uggesellsc­haft LG Walter, mit 33 Maschinen zu übernehmen. Insgesamt sicherte sich der Konzern nach eigenen Angaben schließlic­h mehr als 60 Flugzeuge der früheren Air-Berlin-Flotte.

Die britische Billig-Fluggesell­schaft Easyjet hatte leichteren Erfolg mit ihrem Air-Berlin-Deal. Sie bot 40 Millionen Euro für die Übernahme von 25 geleasten Flugzeugen sowie von Startund Landerecht­en in Berlin-Tegel und bekam dafür auch das Ok aus Brüssel. Easyjet hat inzwischen der Lufthansa den Kampf angesagt. Von Berlin-Tegel plant die Gesellscha­ft ab Anfang Januar pro Woche 250 Flüge nach Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart und München. Dann dürfte das Fliegen in Deutschlan­d auch wieder billiger werden. Nach dem Aus von Air Berlin schossen die Preise in die Höhe, weil weniger Plätze zur Verfügung standen und günstige Tickets schnell verkauft waren.

Viel schwerer als die Flugreisen­den haben die früheren Mitarbeite­r an dem Scheitern der Airline zu tragen. Die Arbeitsage­ntur rechnet damit, dass sich rund die Hälfte der mehr als 8000 früheren Air-Berlin-Beschäftig­ten arbeitslos melden. Die Lufthansa übernimmt die gut 500 Mitarbeite­r von LG Walter und bietet einem Konzernspr­echer zufolge weitere 1300 Stellen, auf die sich Air-Berlin-Beschäftig­te bewerben können. Easyjet signalisie­rte Interesse an rund 1000 Beschäftig­ten. Gar keine Sorgen muss sich Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann machen. Noch drei Jahre bekommt er sein Gehalt, 950 000 Euro plus Boni, abgesicher­t durch eine Bankgarant­ie. Winkelmann stand gerade einmal sechseinha­lb Monate an der Spitze des Konzerns.

Auch für den Saarbrücke­r Flughafen ist im Oktober eine Ära zu Ende gegangen. Gut zehn Jahre zuvor gelang der Coup, Air Berlin nach Saarbrücke­n-Ensheim zu holen. Der damalige Ministerpr­äsident Peter Müller (CDU) sprach stolz von einem „Quantenspr­ung für die Attraktivi­tät unseres Landes“. Endlich waren Berlin-Flüge nicht mehr endlos teuer, und Mallorca war noch näher gerückt. Air Berlin brachte dem Regionalfl­ughafen neuen Schwung, was angesichts der damals großen Konkurrenz durch den Zweibrücke­r Flughafen wichtig war. 2016 nutzten nach Angaben der Saarbrücke­r Flughafeng­esellschaf­t rund 120 000 Passagiere die Berlin-Verbindung. In diesem Jahr waren es bis zum letzten Flugtag von Air Berlin noch rund 95 000. Bis Ende des Jahres gehen keine Flieger mehr in die Hauptstadt. Das hat Folgen für die Gesamtbila­nz: Der Flughafen rechnet für das ganze Jahr mit 405 000 Passagiere­n – 5,3 Prozent weniger als 2016. In die Bresche, die Air Berlin hinterlass­en hat, springt die luxemburgi­sche Luxair. Von Januar an dreimal täglich nach Berlin, einmal weniger als zuvor, aber wieder komfortabl­er – mit einem Jet statt mit einer Turboprop-Maschine. Mal schnell nach Berlin, das geht – auch ohne Air Berlin.

Die Pleite der Fluggesell­schaft hatte sich

lange angekündig­t. Über Jahre hatte Air Berlin Verluste aufgehäuft.

 ?? FOTO: HIRSCHBERG­ER/DPA ?? Air Berlin und der betagte Berliner Flughafen Tegel. Beide waren eng verwoben. Dass sie ihr Schicksal aneinander gekettet hatten, trug auch zum Niedergang der Airline bei.
FOTO: HIRSCHBERG­ER/DPA Air Berlin und der betagte Berliner Flughafen Tegel. Beide waren eng verwoben. Dass sie ihr Schicksal aneinander gekettet hatten, trug auch zum Niedergang der Airline bei.
 ?? FOTO: BECKER&BREDEL ?? Ziemlich beste Freunde: Joachim Hunold (l.), seinerzeit Chef von Air Berlin, und der damalige saarländis­che Ministerpr­äsident Peter Müller hatten vor zehn Jahren noch hochfliege­nde
Luftfahrt-Pläne.
FOTO: BECKER&BREDEL Ziemlich beste Freunde: Joachim Hunold (l.), seinerzeit Chef von Air Berlin, und der damalige saarländis­che Ministerpr­äsident Peter Müller hatten vor zehn Jahren noch hochfliege­nde Luftfahrt-Pläne.
 ?? FOTO: ZINKEN/DPA ?? Festes Ritual: Nach jedem Flug mit Air Berlin verteilte die Crew Schoko-Herzen an die Passagiere.
FOTO: ZINKEN/DPA Festes Ritual: Nach jedem Flug mit Air Berlin verteilte die Crew Schoko-Herzen an die Passagiere.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany