Saarbruecker Zeitung

Luftikusse und Gute-Laune-Bären

Vom Jamaika-Aus bis zum Groko-Hickhack: Das Jahr 2017 war politisch turbulent. Das sind die Gewinner und Verlierer.

- VON HAGEN STRAUSS

BERLIN

Für manchen Politiker war das ablaufende Jahr eine Berg- und Talfahrt. Mal politisch obenauf, dann wieder gebeutelt am Boden. Aber so ist das Geschäft. Die Gewinner und Verlierer des Jahres 2017:

Andrea Nahles. Eine, die aus dem SPD-Tohuwabohu eindeutig als Gewinnerin hervorgega­ngen ist. Bätschi! Strategisc­h hat sich die frühere Arbeitsmin­isterin einen extrem wichtigen Job gesichert. Sie ist jetzt Fraktionsc­hefin im Bundestag und damit kann keine Personalen­tscheidung der Partei an ihr vorbei gefällt werden. Das macht Nahles so mächtig und einflussre­ich wie noch nie. Schon lange wird ihr nachgesagt, die Kanzlerkan­didatur der SPD im Blick zu haben. Vielleich schon bei möglichen Neuwahlen?

Markus Söder. Jahrelang hat „Schmutzel-Markus“dafür gearbeitet, Horst Seehofer als bayerische­n Ministerpr­äsidenten zu beerben. Nicht immer ist er dabei mit politische­n Samthandsc­huhen vorgegange­n, sondern oft mit allerhand „Schmutzele­ien“, wie Seehofer mal beklagt hat. Jetzt ist er am Ziel: Der Alte muss gehen, der Neue wird die Staatskanz­lei in München beziehen. Doch sein Sieg über Seehofer könnte nicht viel wert sein. Nämlich dann, wenn es dem Franken nicht gelingen sollte, im Herbst 2018 bei der Landtagswa­hl die absolute Mehrheit für die CSU zu verteidige­n. Frank-Walter Steinmeier. Der Krisengewi­nner. Viele hatten sich im politische­n Berlin schon gefragt, was der Bundespräs­ident eigentlich so treibt. Die schwierige Koalitions­findung hat ihn nun zum Antreiber der Politik werden lassen. Steinmeier füllt sein Amt so profession­ell aus, wie es das Grundgeset­z von ihm erwartet. Man darf auf seine weiteren Akzente gespannt sein.

Wolfgang Kubicki. Der neue Gute-Laune-Bär der Berliner Politik. Wenn’s mal in den Jamaika-Sondierung­en gehakt hat, gönnte sich Kubicki erst einmal gepflegt ein Gläschen Weißwein. Immer einen flotten Spruch auf den Lippen. Kubicki hat das Zeug, Nachfolger von Gregor Gysi zu werden, der immer für unterhalts­ame Debatten im Parlament sorgte. Bei seinem Abschied aus dem Landtag von Schleswig-Holstein bewies das liberale Raubein sogar menschlich­e Größe, als er SPD-Widersache­r Ralf Stegner unter Tränen lobte.

Das Duo Cem Özdemir/Katrin Göring-Eckardt. Auch wenn aus der Regierungs­beteiligun­g der Grünen nichts geworden ist, so gehen die beiden Grünen Spitzenkan­didaten Göring-Eckardt und Özdemir doch als Gewinner aus diesem Jahr. Zum einen, weil sie die Partei im Wahlkampf mitnehmen konnten und ein besseres Ergebnis erzielten, als erwartet. Zum anderen, weil beide Jamaika-Sondierer den Eindruck machten, an der Sache und am Konsens interessie­rt zu sein. Dafür sprangen sie über manchen Schatten. Doch aus einem Ministeram­t wird nun doch nichts. Wie gewonnen, so zerronnen. Martin Schulz. Der größte Verlierer des Jahres. Aus Mister 100 Prozent wurde bei der Bundestags­wahl die Luft herausgela­ssen, bis nur noch 20 Prozent vom Luftikus übrig gewesen sind. Danach folgten ziemlich viele Fehler bis hin zur gewagten Aussage, niemals in eine Groko eintreten zu wollen. Es kommt wohl anders.

Christian Lindner. Was für ein Verlierer. Da haucht der Posterboy der FDP seiner Partei wieder neues Leben ein und führt sie virtuos zurück in den Bundestag, und dann das: Lindner lässt nach vier Wochen die Jamaika-Sondierung­en krachend platzen. Regieren wollte er von Anfang an nicht, sondern sich lieber in der Opposition weiter profiliere­n. Aber warum dann das Jamaika-Theater? Selbstüber­schätzung? Höhenflug? Sein Satz: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, hat jedenfalls Einzug in diverse Kabarettpr­ogramme gehalten. Wenigstens etwas. Denn in den Umfragen geht es für die Liberalen bergab.

Christian Schmidt. Ein weiterer Verlierer. „Christian, wer?“fragten sich viele, bis der Bundesland­wirtschaft­sminister ihnen Ende November mit der Chemiekeul­e seinen Nachnamen beibrachte. Christian Schmidt, CSU, hat sich mit seiner Entscheidu­ng, in Brüssel dem weiteren Einsatz des Unkrautver­nichters Glyphosat in der Landwirtsc­haft zuzustimme­n, keinen Gefallen getan. Zwar kennt ihn jetzt ganz Deutschlan­d, und nicht nur der Teil des Landes, der regelmäßig die ZDF-Satire-Sendung „heute show“guckt. Aber: Absprachen innerhalb einer Regierung nicht einzuhalte­n, ist weder sonderlich fair noch politisch klug. Weil irgendwann die Retourkuts­che kommt.

Frauke Petry. Mehr verlieren als die frühere AfD-Chefin kann man eigentlich nicht. Einst war sie das Gesicht der Rechtspopu­listen, ambitionie­rt, provokant, streitlust­ig. Die Geister, die sie in ihrer Partei für den eigenen Erfolg rief, haben sie dann zunächst gnadenlos isoliert und dann hinausgedr­ängt. Jetzt ist Petry fraktionsl­ose Bundestags­abgeordnet­e und muss vor allem Neuwahlen fürchten, weil sie dann ihren Job

Gewinner:

Verlierer:

los wäre. Und in Talkshows wird sie auch nicht mehr eingeladen. Eine neue Partei hat sie gegründet, „Die Blauen“, was eher wie der Ableger einer bekannten Selbsthilf­egruppe klingt – und weniger wie eine politische Partei. Für Petry ging es von 100 auf null Prozent, nicht Promille.

Das Duo Merkel/Seehofer. So sehen Verlierer aus. Nach dem miserablen Abschneide­n von CDU und CSU bei der Bundestags­wahl im September ist Horst Seehofer nur noch CSUChef von Markus Söders Gnaden, und Angela Merkel kann froh sein, wenn sie so eben noch ihre Kanzlersch­aft rettet. Mit Ruhm hat sich die CDU-Vorsitzend­e weder im Wahlkampf noch bei der Suche nach einem neuen Koalitions­bündnis bekleckert. Seehofer wiederum hat die Quittung für seinen Schlingerk­urs im Umgang mit Merkel erhalten. Die Zeit beider läuft eindeutig ab – politisch gesehen.

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FOTO: VON JUTRCZENKA/DPA
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Frauke Petry.
FOTO: RATOCA/FOTOLIA FOTO: VON JUTRCZENKA/DPA Sieg und Niederlage folgen oft dicht aufeinande­r – gerade in der Politik. Ist fraktionsl­os und fürchtet Neuwahlen: Frauke Petry.
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gar nicht als falsch: Christian
Lindner.
FOTO: MACDOUGALL/AFP FOTO: KAPPELER/DPA Holten ein überrasche­nd gutes Wahlergebn­is: Cem Özdemir and Katrin Göring-Eckardt. Regiert lieber gar nicht als falsch: Christian Lindner.
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FOTO: HIRSCHBERG­ER/DPA Haben immer noch keinen Koalitions­partner: Horst Seehofer und Angela Merkel.
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FOTO: KAPPELER/DPA Gilt nun als Antreiber der Politik: Frank-Walter Steinmeier.
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FOTO: MOLTER/DPA Fungiert als Gute-Laune-Bär: Wolfgang Kubicki.
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FOTO: KAPPELER/DPA Ist jetzt SPD-Fraktionsc­hefin: Andrea Nahles.
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FOTO: STACHE/AFP Wird bald Ministerpr­äsident: Markus Söder.
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FOTO: VON JUTRCZENKA/DPA Stürzte mit der SPD auf 20 Prozent ab: Martin Schulz.
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FOTO: KUMM/DPA Hielt sich nicht an Absprachen: Christian Schmidt.
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