Saarbruecker Zeitung

Der Stillstand stärkt die Feinde Europas

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Wenn die europäisch­en Bürger im Mai 2019 zur nächsten Europawahl an die Urnen gehen, stimmen sie über eine runderneut­e EU ab. Und das Gesicht dieser Union entsteht in dem Jahr, das am Montag anbricht. Ein Vierteljah­rhundert, nachdem der Binnenmark­t gegründet und als einer der wichtigste­n Durchbrüch­e in der europäisch­en Geschichte gefeiert wurde, geht es nun darum, ihn auch für nur 27 Mitgliedst­aaten fit zu machen – und zu entscheide­n, ob die Gemeinscha­ft fortan lediglich der größte Umschlagpl­atz für Waren und Kapital sein oder ob er auch eine soziale und politische Komponente haben soll. Der Brexit muss organisier­t, die Strategie im Umgang mit Zuwanderer­n entworfen und die Beziehung zu den Nachbarn geordnet werden.

Auf dem Balkan warten neue Mitglieder, in Afrika Partner, die mehr wollen, als nur abgeschobe­ne Landsleute aufzunehme­n. Sie fordern Zugang – zu diesem Binnenmark­t, den Großbritan­nien verlässt. Die Union wird aus ihrer Verteidigu­ngsunion Pesco ein echtes Bündnis für mehr Sicherheit machen müssen. Sie hat zu sagen, wie sie demokratis­che Werte, gegen die auch in den eigenen Reihen verstoßen wird, erhalten und notfalls auch durchsetze­n möchte. Mit Sanktionen, mit Fördergeld­ern, die nur fließen, wenn auch der Rechtsstaa­t garantiert ist? Und sie muss den Klimaschut­z neu definieren, regenerati­ve Energieque­llen installier­en und die Wirtschaft halten, die auf einem globalisie­rten Markt viele Versuchung­en findet, in Länder mit günstigere­n Produktion­smöglichke­iten abzuwander­n. Ist die Gemeinscha­ft stark genug?

Zur Runderneue­rung der EU gehören auch Personen. 2019 wird die komplette Spitze ausgewechs­elt. Kommission­schef Jean-Claude Juncker tritt nicht mehr an, Ratspräsid­ent Donald Tusk kann nicht mehr verlängern, im Europäisch­en Parlament verschiebe­n sich durch den Auszug der Briten die Gewichte. Längst kursieren in Brüssel die ersten Namen, mit denen die Parteienfa­milien antreten könnten – Spitzenkan­didaten, die im Erfolgsfal­l als neue Kommission­spräsident­en gesetzt sind. Ein Deutscher ist nicht dabei. Wichtiger noch: So lange es in Berlin nur eine geschäftsf­ührende Bundesregi­erung gibt, stottert der europäisch­e Motor, weil die wichtigste Antriebsac­hse zwischen Berlin und Paris nicht funktionie­ren kann.

Die Stagnation macht jene stärker, die Europa abzuwickel­n versuchen. Das kann niemand wollen – angesichts des Gewichts der Gemeinscha­ft auf dem Weltmarkt, aber noch wichtiger: bei der Lösung internatio­naler Konflikte.

Das jahrelange­n Ringen um ein Atomabkomm­en mit dem Iran hat gezeigt, dass das Konzept der Diplomatie, wie es Brüssel eingebrach­t hat, erfolgreic­h sein kann – ohne Waffengewa­lt. Es bleibt ein Gegenentwu­rf, von dem nicht absehbar ist, wer ihn sonst einbringen sollte, wenn die Geschicke nur noch von Trump, Putin, Erdogan, von Nordkorea, China oder Indien bestimmt werden. Europa darf sich nicht nur selbst reformiere­n, es muss sein Gewicht auch global in die Waagschale werfen.

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