Saarbruecker Zeitung

Beschneidu­ng bleibt trotz neuer Gesetze umstritten

Vor fünf Jahren gab der Bundestag Juden und Muslimen Sicherheit: Die rituelle Beschneidu­ng ist erlaubt. Kritiker sehen sie als Eingriff in die Rechte des Kindes.

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(KNA) Seit fünf Jahren herrscht für Juden und Muslime Rechtssich­erheit: Das Ende Dezember 2012 in Kraft getretene Beschneidu­ngsgesetz erlaubt ihnen die Jungenbesc­hneidung aus religiösen Gründen. Doch trotz dieser rechtliche­n Klarstellu­ng geht der Streit darüber weiter. Kindermedi­ziner und -schutzorga­nisationen sehen in der nicht-therapeuti­schen Vorhautent­fernung eine irreversib­le Schädigung des Körpers und eine Menschenre­chtsverlet­zung.

Ähnlich hatte es das Kölner Landgerich­t gesehen, das die Debatte über die Beschneidu­ng ausgelöst hatte. In einem Urteil vom 7. Mai 2012 hielt es fest, dass die religiöse Jungenbesc­hneidung die körperlich­e Unversehrt­heit verletze und damit strafbar sei. Dieses Votum gegen eine jahrtausen­dealte Tradition stieß bei Juden und Muslimen auf völliges Unverständ­nis. Nach einer hitzigen Debatte über religiöse Freiheit kippte der Bundestag wenige Monate später den Richterspr­uch und beschloss mit breiter Mehrheit ein Gesetz, wonach die rituelle Beschneidu­ng in Deutschlan­d weiter zulässig ist – wenn sie den Regeln der ärztlichen Kunst entspricht. In den ersten sechs Monaten können allerdings wie in Israel eigens ausgebilde­te Beschneide­r den Eingriff vornehmen.

Bei der Beschneidu­ngspraxis geht es Juden und Muslime nicht nur um Tradition, sondern um ihr Selbstvers­tändnis. Deshalb sahen sie nach dem Kölner Urteil sogar ihre Beheimatun­g in Deutschlan­d infrage gestellt. Der damalige Generalsek­retär des Zentralrat­s der Juden, Stephan Kramer, sprach gar von einer antisemiti­sch geprägten Debatte. Liberale wie orthodoxe Vertreter des Judentums verteidigt­en mit Vehemenz die Beschneidu­ng, in der sie ein Bundeszeic­hen zwischen Gott und Menschen sehen.

Matthias Franz

Auch die beiden großen christlich­en Kirchen verurteilt­en das Urteil als „äußerst befremdlic­h“, weil es den Grundrecht­en der Religionsf­reiheit und dem Erziehungs­recht der Eltern nicht gerecht werde. In der Bundestags­debatte über das Thema warnte der damalige SPD-Fraktionsc­hef und heutige Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier davor, dass ausgerechn­et Deutschlan­d als erstes Land der Welt die Beschneidu­ng nach jüdischer Tradition verbieten könnte. Dem Beschneidu­ngsgesetz stimmten schließlic­h 434 von 580 Abgeordnet­en zu. Ein alternativ­er Entwurf, der Beschneidu­ngen erst ab 14 Jahren mit Einwilligu­ng des Betroffene­n vorsah, erhielt nur 91 Stimmen.

Die Gegner der rituellen Beschneidu­ng finden sich mit der Regelung nicht ab. Der Düsseldorf­er Psychother­apeut Matthias Franz sieht einen Angriff auf die sexuelle Selbstbest­immung. „Erwachsene haben an den Genitalien von Kindern nichts zu suchen“, so der Experte der Deutschen Gesellscha­ft für Psychosoma­tische Medizin (DGPM). Jedes Jahr würden rund 400 Jungen nach einer Beschneidu­ng schwer verletzt in Kliniken aufgenomme­n. Der Eingriff enthalte „eine Botschaft der Gewalt“und bewirke bei vielen Jungen bleibende Ängste um ihre Männlichke­it.

Ähnlich äußert sich die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedi­zin (DAKJ). Gerade wenn Nicht-Ärzte Beschneidu­ngen vornehmen, erlitten Kinder oft wegen unzureiche­nder Betäubung Schmerzen. Notwendig sei ein „breiter nationaler Dialog“.

Diesen Einwänden können Vertreter des Judentums nicht folgen. Die frühere Programmdi­rektorin des Jüdischen Museums in Berlin, Cilly Kugelmann, initiierte vor drei Jahren eigens eine Ausstellun­g zum Thema Beschneidu­ng und konfrontie­rte die Besucher mit Zahlen der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO: Danach sind weltweit 30 Prozent der Männer beschnitte­n, zehn Prozent aus religiösen Gründen. Die Theorie, wonach beschnitte­ne Männer traumatisi­ert seien, sei angesichts dieser hohen Zahl sehr unrealisti­sch.

„Erwachsene haben an den Genitalien

von Kindern nichts zu suchen.“

Psychother­apeut

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