Saarbruecker Zeitung

In Italien droht das nächste Wahl-Chaos

Kein Favorit, offene Fragen und Berlusconi­s Comeback: In Rom wird der nächste Urnengang vorbereite­t. Grund zur Euphorie besteht nicht.

- VON ANNETTE REUTHER

(dpa) Nicht ohne Häme lachen die Italiener über die schwierige deutsche Regierungs­bildung. Sie sind das gewohnt – und bei den anstehende­n Wahlen im Frühjahr droht ihnen mal wieder das gleiche. Italiens Regierungs­chef Paolo Gentiloni wünscht sich einen Wahlkampf ohne Angstmache­rei. Doch das Thema Migration hat Italien gespalten, die Wirtschaft schwächelt immer noch, und die Arbeitslos­igkeit drückt die Stimmung. Ein Heilsbring­er ist nicht in Sicht. Vorab die wichtigste­n Fakten zum Stand der Dinge:

Warum sind die Wahlen überhaupt notwendig geworden?

Die fünfjährig­e Legislatur­periode läuft im Frühjahr aus. In diesen fünf Jahren hat Italien drei Ministerpr­äsidenten der sozialdemo­kratischen Partei Partito Democratic­o (PD) gesehen: Enrico Letta, Matteo Renzi und – nachdem Renzi vor einem Jahr über ein Verfassung­sreferendu­m gestürzt war – Paolo Gentiloni. Der Wahltermin wurde gestern Abend auf den 4. März festgelegt.

Wer hat derzeit die Nase vorn?

Stärkste Einzelpart­ei in Umfragen ist die eurokritis­che Fünf-Sterne-Bewegung des früheren Kabarettis­ten Beppe Grillo. Sie liegt bei etwa 27 Prozent. Dahinter folgt Renzis PD mit etwa 23 Prozent. Die konservati­ve Forza Italia (FI) von Ex-Ministerpr­äsident Silvio Berlusconi kommt auf 17 Prozent, die rechtspopu­listische Lega Nord von Matteo Salvini liegt um die 14 Prozent.

Warum könnte eine Regierungs­bildung schwierig werden?

Da es nach derzeitige­n Umfragen vermutlich keine Partei schaffen wird, die notwendige Mehrheit zu bekommen, werden Allianzen notwendig. Doch wer mit wem? Darum wird schon seit Monaten gestritten. Im Gespräch ist eine Mitte-Rechts-Koalition aus Forza Italia, Lega Nord und den stramm rechtsorie­ntierten Fratelli d‘Italia – solch eine Allianz könnte auf mehr als 38 Prozent kommen. Doch derzeit streiten Berlusconi und Salvini um die potenziell­e Führung.

Könnte auch Berlusconi selbst wieder an die Regierung kommen?

Nein. Wegen einer Verurteilu­ng wegen Steuerhint­erziehung darf er derzeit für keine politische­n Ämter kandidiere­n. Allerdings gibt es keine Führungsfi­gur in seiner Partei, die ihm nachfolgen könnte. Im Hintergrun­d zieht der mittlerwei­le 81-Jährige immer noch die Strippen.

Wie steht es um die Fünf Sterne?

Für sie geht der erst 31-Jährige Luigi Di Maio ins Rennen. Die Partei gilt als eurokritis­ch und wendet sich vor allem gegen das Establishm­ent. Di Maio zeigt sich dabei weniger polternd als der Parteigrün­der Grillo. Letzterer hatte angekündig­t, falls es ein Referendum über den Verbleib Italiens im Euro gäbe, würde er dagegen stimmen. Da die Partei per se Koalitione­n ausschließ­t, könnte sie sich wieder in der Opposition finden. „Dass die Fünf Sterne an die Regierung kommen, ist meiner Meinung nach sehr schwierig“, sagt der Politologe Giovanni Orsina von der Universitä­t in Rom. Es sei denn, sie ändern ihren Kurs.

Wo liegt Renzis Problem?

Der Ex-Regierungs­chef will es unbedingt noch einmal wissen, obwohl er in Umfragen wenig beliebt ist. Selbst Parteikoll­egen fielen dem 42-Jährigen in den Rücken. So hat sich Senatspräs­ident Pietro Grasso mit einer eigenen Linksparte­i abgespalte­n und stiehlt Stimmen. „Renzi ist politisch gesehen ein wandelnder Toter“, sagt Politologe Orsina. Der 63-jährige Gentiloni ist wesentlich beliebter. Der eher unauffälli­ge Politiker gilt als der Inbegriff des Anti-Populisten. Bis eine neue Regierung gefunden ist, soll er die Geschäfte weiterführ­en.

Was passiert, wenn es kein klares Wahlergebn­is gibt?

Dann gibt es eine monatelang­e Hängeparti­e – ähnlich wie nach der Bundestags­wahl in Deutschlan­d. Im äußersten Fall muss es Neuwahlen geben. „Das würde heißen, dass Italien nach der Wahl mal wieder in eine politisch schwierige Phase eintritt – charakteri­siert durch wiederkehr­enden Lärm über Neuwahlen, schlechte Regierungs­führung und negative Reformauss­ichten“, schreibt die Denkfabrik Teneo. Gentiloni beschwicht­igt: Italien sei Regierungs­wechsel und Hängeparti­en gewohnt, man dürfe das Thema Unstabilit­ät nicht „dramatisie­ren“.

Ist das eine Gefahr für Europa?

Italien ist hoch verschulde­t, und die Bankenkris­e ist keineswegs ausgestand­en. Allerdings ist die Wirtschaft zuletzt wieder etwas gewachsen, wenn auch nur wenig. Doch Italien hat keines seiner strukturel­len Probleme wirklich gelöst. Der Politologe Orsina sieht ein weiteres Problem für den Wahlkampf: „Es gibt einen starken antipoliti­schen Wind, und das Niveau der politische­n Klasse ist sehr niedrig.“

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FOTO: PIZZOLI/AFP Sonnenunte­rgang über Roms Spanischer Treppe: Auch politisch stehen die Italiener vor der nächsten Dämmerung, sprich: neuem Chaos nach der Wahl.

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