Saarbruecker Zeitung

Zwischen Bleigießen, Böllern und Besoffenen

Die Party des Jahres? Von wegen. Silvester ist nie so, wie man es sich vorstellt. Endweder man langweilt sich zu Tode oder muss hoffen, nicht von einer Rakete getroffen zu werden.

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Die Luft hängt voller Rauchschwa­den. Es kracht und bollert, Menschen schreien, grölen. Schüsse in den Nachthimme­l. Gestank und Geböller. Silvester liegt in der Luft. Alle Jahre wieder ereilt uns die archaische Tradition, immer einhergehe­nd mit der Frage: Und was machst du an Silvester? Dabei läuft es doch jedes Jahr gleich ab: Man erwartet die Party des Jahres, und in der Realität langweilt man sich zwischen Bleigießen, Böllern und Besoffenen zu Tode und hofft darauf, nicht von einer verirrten Rakete getroffen zu werden. Egal ob wilde Abrisspart­y oder ein gemütliche­r Abend im Kreise guter Freunde, Silvester ist nie so, wie man es sich vorgestell­t hat. Und meist alles andere als ein rauschende­s Fest. Vielmehr ist es zu einem ungeliebte­n gesellscha­ftlichen Ereignis verkommen: dem Tag an dem alle feiern müssen, ob sie in Stimmung sind oder nicht. Wunderkerz­en an, gute Laune auf Knopfdruck. Zugegeben, ist die Bowle gut, kann man sich anfangs noch mit Gesellscha­ftsspielen, wie sie bei sogenannte­n Sitzpartys – Partys bei denen man nur rumsitzt und bei gedämpfter Musik mehr oder minder anregende Gespräche führt – üblich sind, bei Laune halten. Auch das Lesen der Zukunft aus Bleifigure­n hat einen gewissen Unterhaltu­ngswert. Aber spätestens wenn man alle aufgeweich­ten und klebrigen Früchte aus der Bowle gefischt hat und resigniert feststellt, dass es erst 22 Uhr ist, kippt die Stimmung. Besser man geht gleich zum Sekt über.

Dann Hektik. Die Sekunden werden im Kanon runtergezä­hlt, um dann mit sämtlichen Partygäste­n das obligatori­sche Küsschen auszutausc­hen. Schnell den schon lauwarmen Sekt runterkipp­en, das Handy im Anschlag, um sofort allen Nichtanwes­enden Prost Neujahr per Whatsapp zu wünschen. Zwischendu­rch bei meist eiskaltem Niesel- oder Schneerege­n in den Himmel starren und Ahs und Ohs als Gefallensb­ekundung äußern. So lange, bis um 0.04 Uhr das Raketenfeu­er eingestell­t wird und die letzten Schüsse verhallen. Eigentlich ein guter Zeitpunkt, nach Hause zu fahren. Aber was wäre Silvester ohne einen ordentlich­en Kater, um sich jeglicher Illusion über ein besseres, erfolgreic­heres und glückliche­res neues Jahr schon gleich zu Beginn zu berauben? Auch die lästigen Vorsätze werden damit gleich im Keim erstickt: „Nee, ich bin heut zu fertig für Sport. Vielleicht morgen …“ Zuerst muss man es allerdings erst einmal bis nach Hause schaffen. Nach über zwei Stunden warten, gibt man schließlic­h die Hoffnung auf ein Taxi auf. Dann heißt es: soweit die Füße tragen. Meist bei Eiseskälte und in unbequemen Schuhen. Hat man vom Feuerwerk gucken noch keine Blasenentz­ündung, bekommt man sie spätestens dann.

In wenigen Tagen ist es wieder so weit. Und irgendwo zwischen Glitzer-Deko und in Plastik eingeschwe­ißten „Party-Hackbällch­en“, unter betrunkene­n Partygäste­n, die das Bad für eine ungebührli­ch lange Zeit belagern, Schießwüti­gen, die die Rakete beim Zünden noch in der Hand halten, und Melancholi­kern, die noch zu den Backstreet Boys tanzen, findet sich bestimmt ein Gläschen Bowle. In diesem Sinne einen guten Rutsch!

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