Ihre Familie war für sie das Wichtigste
Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Ella Barth.
OTTWEILER „Mit Bildern von meiner Mutter ist es ein bisschen schwierig. Sie hat sich nie gerne fotografieren lassen, schaute immer sehr verkrampft in die Kamera“, erzählt Erwin Barth, jüngstes Kind von Ella und Josef Barth. Doch auf ein Foto, aufgenommen an der Goldenen Hochzeit seiner Eltern im Jahr 1993, ist er besonders stolz. Es zeigt neben dem Jubelpaar mit einer entspannt blickenden Ella Barth auch die gesamte Familie mit Kindern, Schwiegerkindern und Enkeln. Nur seine ältere Schwester Annelie, Jahrgang 1946, fehlt. „Sie ist im Alter von 29 Jahren im Jahr 1975 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und bis heute hat das unsere gesamte Familie deutlich erschüttert“, sagt Barth.
Vor allem seine Eltern litten viele Jahre meist still unter dem Verlust, es habe ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen. Seine Mutter, erzählt e r, lenkte sich vor allem durch die Erziehung der beiden Enkeltöchter ab. Die kamen mit vier und acht Jahren nach dem Unfall in die Familie. „Für mich waren sie weniger meine Nichten, sondern vielmehr wie jüngere Schwestern“, erinnert sich Erwin Barth. Für seine Mutter wurde die Erziehung der Mädchen zur Lebensaufgabe. Mit Kindern konnte sie immer schon sehr gut umgehen, sagt der Sohn.
Geboren wurde Ella Barth 1925 als zweitjüngstes von sechs Kindern in einem kleinen Dorf im Spessart. Nach der Volksschule sollte sie in den Staatsdienst, wurde für die Arbeit in einer Munitionsfabrik vorgesehen. „Damals kümmerten sich Pfarrer und Lehrer darum, dass sie im Kindergarten helfen durfte. Hier ist ihre Liebe zur Kindererziehung wohl geboren worden“, sagt Barth.
Schon in Kriegstagen, 1942, verliebte sich Ella in ihren zukünftigen Mann Josef. Der stammte aus Ottweiler, war in der Nähe ihres Heimatortes
Erwin Barth über seine Mutter Ella stationiert. „Damals war mein Vater bereits kriegsversehrt, ihm war ein Fuß erfroren. Daher war er nicht mehr an der Front einsetzbar“, weiß Barth. Schnell war sein älterer Bruder Dieter unterwegs, die Barths heirateten am 2. November 1943. „Vielleicht kein schönes Datum, aber sie bekamen keinen anderen Tag frei“, sagt der Sohn. Geheiratet hat das Paar in Ottweiler, der Heimat des Bräutigams. Doch schon bald ging es wieder zurück in den Spessart. „Dort war die Versorgung auf dem Land einfach viel besser, und als meine Schwester 1946 geboren wurde, war das das Wichtigste für eine Familie“.
Für kurze Zeit blieb das Paar bei den Eltern von Ella Barth, Josef half in der Schreinerei des Schwiegervaters. Auf Anordnung musste die Familie schließlich nach Ottweiler zurück. „Ich glaube, das hat meine Mama sehr bedrückt. Sie waren drei Tage lang mit zwei kleinen Kindern unterwegs. Seither hat sie dem Leben nicht mehr so getraut“, erzählt der Sohn. Händeringend wurden damals Arbeiter in den Gruben gesucht, Josef Barth kam dort unter und konnte die Familie versorgen. Auch, als sich 1951 Nachkömmling Erwin eingestellt hatte. „Ich war wohl ein ziemliches Sorgenkind, habe die ersten Jahre kaum gegessen“, weiß er aus Erzählungen seiner Mutter. Das änderte sich, als die Familie ein eigenes Haus baute. „Wir waren eine klassische Familie, der Papa hat das Geld verdient, die Mama war Hausfrau“, erinnert sich Erwin Barth.
Die Jahre vergingen, drei weitere Enkelkinder wurden geboren und im Jahr 2000 wurden Barths zum ersten Mal Urgroßeltern. „Vor allem meine Mutter hat sich immer sehr gefreut, wenn die Kinder zu Besuch kamen“, sagt Erwin Barth. Ende der 1990er Jahre verschlechterte sich die Gesundheit seines Vaters rasch, lange Zeit pflegte seine Frau ihn, zuletzt mit Unterstützung der Awo, bis er 2007 starb. „Sicherlich hat sie das Alleinsein belastet, doch ganz objektiv gesehen wurde eine sehr große Last von ihr genommen“, sagt Barth.
Die Zeit nutzte seine Mutter für Gartenarbeit und zum Lesen. „Die Augen meiner Mutter wurden während der Krankheit meines Vaters immer schlechter, doch eine Operation hat sie erst nach seinem Tod in Angriff genommen“, erzählt der Sohn. Lange konnte Ella Barth nach dem Tod ihres Mannes noch im Haus bleiben. „Ihr war das ganz wichtig, schließlich war das das Lebenswerk ihres Mannes“, sagt Barth. Im Januar 2015 wurde der Familie bewusst, dass sie nicht mehr allein bleiben konnte. Nach zwei Schwächeanfällen kam sie ins Krankenhaus, schließlich fand sich ein Pflegeplatz in Ottweiler. „Meine Mutter hat sich sehr gut mit dem neuen Zuhause arrangiert. So, wie sie überhaupt recht ruhig mit einer neuen Situation umgegangen ist“, sagt Erwin Barth. Nur gesprochen habe sie nicht mehr viel. „Sie hat sich über sich selbst geärgert, wenn ihr die Worte nicht mehr eingefallen sind“.
Die Demenz schritt voran; ob sie ihre Familie noch erkannt hat, weiß Erwin Barth nicht. Doch die beiden haben noch viele schöne Spaziergänge im Rollstuhl unternommen. „Einmal hat mir meine Mama sogar ein Eichhörnchen gezeigt, das ich nicht gesehen hätte.“Ihr Tod mit 92 Jahren kam zwar nicht unerwartet, aber doch plötzlich. „Sie hat am Nachmittag im Pflegeheim noch Oktoberfest mitgefeiert, am späten Abend fand sie eine Pflegekraft in einem bedenklichen Zustand.“Kurz darauf starb seine Mutter im Krankenhaus, sagt Erwin Barth. Durch diesen plötzlichen Tod, weiß er, ist ihr letzter Wunsch in Erfüllung gegangen. ............................................. Auf der Seite „Momente" stellt die SZ im Wechsel Kirchen in der Region und Lebenswege Verstorbener vor. Im Internet: saarbruecker-zeitung.de/lebenswege
„Sie hat sich immer sehr gefreut, wenn die Kinder
zu Besuch kamen.“
Michaela Heinze, Frauke Scholl Ulrich Brenner