Saarbruecker Zeitung

Seehofer will bis Ostern neue Regierung

Angela Merkel ist seit November 2005 im Amt. Sie hat nicht viele Möglichkei­ten, um als Regierungs­chefin in Ehren abzutreten. Vier Varianten sind denkbar.

- VON WERNER KOLHOFF

CSU-Chef Horst Seehofer drängt darauf, dass an Ostern eine neue Bundesregi­erung steht. Union und SPD sondieren ab Sonntag über die Bildung einer Koalition. Morgen gibt es ein Vorgespräc­h.

BERLIN

Noch kein Bundeskanz­ler hat sein Amt freiwillig und in Würde aufgeben können. Helmut Kohl, Kurt Georg Kiesinger und Gerhard Schröder wurden abgewählt. Helmut Schmidt verlor die Position, weil sein Koalitions­partner, die FDP, die Seiten wechselte. Willy Brandt trat nach der Guillaume-Affäre zurück, Ludwig Erhard und Konrad Adenauer wurden von der eigenen Partei herauskomp­limentiert. Angela Merkel, die einer wachsenden Kritik ausgesetzt ist und ihren Zenit erkennbar überschrit­ten hat, will Derartiges natürlich vermeiden. Aber wie? Nur in den Bundesländ­ern gibt es Vorbilder für mehr oder weniger gelungene Wechsel, etwa den von Roland Koch zu Volker Bouffier 2010 in Hessen oder 2013 von Kurt Beck (aus Gesundheit­sgründen) zu Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz. Folgende Szenarien sind für die seit mehr als zwölf Jahren amtierende Kanzlerin denkbar:

Neuwahlen.

Falls die große Koalition nicht zustande kommt, wäre ein neuer Urnengang wohl unvermeidl­ich – und für Angela Merkel eine Gelegenhei­t auszuschei­den. Freilich hat sie selbst schon erklärt, dass ihre Ankündigun­g vom Sommer, erneut für komplette vier Jahre regieren zu wollen, auch für diesen Fall gelte. Außerdem gäbe es keinen überzeugen­den Bewerber, der so schnell einspringe­n könnte. Jens Spahn ist zu jung und zu umstritten, Daniel Günther zu unbekannt, Ursula von der Leyen wird innerparte­ilich nicht gemocht, und Thomas de Maizière gehört nicht mehr zu Aktivposte­n. Im Notfall müsste wohl die Saarländer­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r antreten. Wahrschein­lichkeit: sehr gering.

Freiwillig­er vorgezogen­er Wechsel zur Mitte der Legislatur­periode. Hier gibt es zwei Varianten, die beide das Gelingen der großen Koalition voraussetz­en. Die erste ist eine mit der SPD verabredet­e Ablösung. Theoretisc­h könnte Merkel zum Beispiel 2019 zurücktret­en und der eigenen Partei sowie dem Koalitions­partner einen Nachfolger zur Wahl vorschlage­n. Dafür ist die absolute Mehrheit im Bundestag erforderli­ch, die die Koalition hätte. So hatte es die soziallibe­rale Koalition 1974 beim Wechsel von Brandt auf Schmidt gemacht. Und das christlibe­rale Bündnis bei der Ablösung Adenauers durch Erhard. So geschahen auch die meisten erfolgreic­hen Wechsel in den Ländern. Voraussetz­ung dafür ist freilich, dass der kleinere Koalitions­partner das Manöver des größeren Partners mitmacht. Aber warum sollte die SPD es zulassen, dass die Union zwei Jahre vor der regulären Bundestags­wahl einen neuen Kanzler aufbaut und ihn sich profiliere­n lässt? Wahrschein­lichkeit: sehr gering.

Unfreiwill­iger Wechsel in der Mitte der Legislatur­periode wegen vorgezogen­er Neuwahl. Diese Variante ist für die SPD viel attraktive­r. Doch müssten die Sozialdemo­kraten einen nachvollzi­ehbaren Grund finden, die Koalition vorzeitig platzen zu lassen. Über eine Vertrauens­frage Merkels wegen fehlender Mehrheit käme man dann schnell zu Neuwahlen – was für die CDU-Chefin wiederum Gelegenhei­t wäre, ihren Ausstieg zu erklären. Sie hätte dann 14 Jahre amtiert, genauso lange wie Adenauer. Und das Nachfolge-Problem hätte sich bis dahin vielleicht erledigt. Diese Variante wäre auch im Fall einer Minderheit­sregierung denkbar. Wahrschein­lichkeit: relativ hoch.

Freiwillig­er Wechsel zum nächsten regulären Wahltermin. Etwa ein Jahr vor dem Urnengang im Herbst 2021 könnte die dann 66 Jahre alte Langzeitka­nzlerin erklären, dass sie nicht erneut antreten werde. Die Union würde dann wahrschein­lich sofort einen neuen Parteichef wählen, um die Machtübern­ahme vorzuberei­ten. Mit der CSU müsste noch Einvernehm­en über die Kanzlerkan­didatur der oder des Neuen hergestell­t werden. Für Merkel wäre das letzte Jahr praktisch eine Ehrenrunde. Dass sie aber wie in den USA als „lame duck“(lahme Ente) demontiert würde, ist nicht zu erwarten. Das politische System in Deutschlan­d funktionie­rt reibungslo­ser, wie derzeit auch die lange Phase der „geschäftsf­ührenden Regierung“zeigt. Das Hauptrisik­o in dieser Variante liegt darin, dass der Nachfolger womöglich nicht so populär wäre und die Union um ihren Wahlsieg fürchten müsste. Aber irgendwann muss sie sich sowieso von Merkel ablösen. Wahrschein­lichkeit: sehr hoch.

 ?? FOTOS: DPA ?? 13 Neujahrsan­sprachen von Kanzlerin Merkel konnten die Bundesbürg­er inzwischen verfolgen: Oben Mitte 2017; obere Reihe (von links nach rechts) 2016-2015; zweite Reihe 2014-2013; dritte Reihe 2012-2009; unten 2008-2005.
FOTOS: DPA 13 Neujahrsan­sprachen von Kanzlerin Merkel konnten die Bundesbürg­er inzwischen verfolgen: Oben Mitte 2017; obere Reihe (von links nach rechts) 2016-2015; zweite Reihe 2014-2013; dritte Reihe 2012-2009; unten 2008-2005.

Newspapers in German

Newspapers from Germany