In Mozarts „Serail“wird durchgelüftet
Der renommierte Schriftsteller Feridun Zaimoglu schreibt für den Merziger Zeltpalast Mozarts „Entführung aus dem Serail“neu.
Werk, das den Widerstreit zwischen Orient und Okzident zum Thema macht? Anno 1782 war es knapp 100 Jahre her, dass die Türken vor Wien standen: Die Herrschaften im Wiener Burgtheater dürfte da bei der Uraufführung der „Entführung“der Schauer gepackt haben. Vielleicht schauert es auch angenehm wohlig. Bekanntlich waren die Österreicher ja nicht bloß siegreich, sie machten sich überdies den Türkentrunk der Aggressoren gleich so zu eigen, dass alle Welt heuer von der Wiener Caféhaus-Kultur schwärmt, der Mokka aber fast vergessen ist.
„Die tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung durch den Islam ist ja nichts Neues“, sagt denn Joachim Arnold. Mozarts Oper aber deshalb mit Schock-Bildern von IS-Gräueln zu dramatisieren, am Ende gar zu skandalisieren, wäre ihm dann doch zu billig. Es muss was mit der Story passieren, meint er: Warum nicht die Geschichte der Verschleppung von Konstanze und ihrer Zofe Blonde auf einen Sklavenmarkt und zu den reichlich klischeehaften Muselmanen neu schreiben lassen? Am besten noch von einem Autor, der einen Draht zu beiden Kulturen hat, zur westlichen wie zur nahöstlichen?
Einen Wunschkandidaten hatten Gergen und Arnold auch fix: Feridun Zaimoglu, dieser deutsche Dichter und Denker mit Geburtsland Türkei. Schon sein Frühwerk „Kanak Sprak“war ein Wurf, der meisterlich das eigenwillige Palavern junger türkischstämmiger Männer, die sich hier zurecht finden müssen, in Literatur konzentrierte und pointiert auch mit Multikulti-Verklärung abrechnete. Voriges Jahr nahm sich Zaimoglu hingegen den Reformator und deutschen Sprach-Heiligen Luther vor: „Evangelio“, ein wunderbar saft- und kraftstrotzender Roman in Luther-Deutsch. Arnold schwärmt da so von Zaimoglus „barocker Sprachmacht“, dass ihm selbst fast die Worte versagen. Was kaum mal vorkommt.
Noch schöner aber war, dass sich der vielfach preisgekrönte Autor gar nicht lang bitten ließ. Vor ein paar Tagen waren Arnold und Gergen bei Zaimoglu in Kiel zu Gast. Nun schreibt der, zusammen mit einem Ko-Autor, und muss bis Mai liefern. In welche Richtung sich das letztlich verdichtet, wird auch für den Zeltpalast-Chef eine Überraschung werden. Wobei der Neu-Schreiber nicht in die Arien-Worte eingreift. Gesungen wird also das, was man kennt. Soviel Revolution wollte Arnold dann doch nicht.
Ohnehin ist das Risiko für die runderneuerte „Entführung“enorm. Rund 400 000 Euro steckt Arnold in die Produktion. Will er das einspielen, braucht er eine hohe Auslastung. Aber mit frischem und neuem Theater sollte das doch eigentlich klappen.