Saarbruecker Zeitung

„Große und haarige Tiere sind im Tierfilm gefragt“

- Produktion dieser Seite: Esther Brenner Dietmar Klosterman­n

HANNOVER Ein zwei Meter großer und fünf Zentner schwerer Gorilla steht vor der Kamera und knickt Bananenstä­mme wie Streichhöl­zer. Das hatten die Kinozuscha­uer von „Herrscher des Urwalds“vorher noch nicht erlebt – sie strömten 1958 in Massen in diesen in 25 Sprachen übersetzte­n Film über die Tierwelt im Regenwald des Kongos von Heinz Sielmann. Im deutschen Fernsehen präsentier­te er ab 1965 als erster Tierdokume­ntationen – nie zuvor konnten TV-Zuschauer exotische Tiere so nah in „Expedition­en ins Tierreich“erleben, die Zuschauerq­uoten lagen bei über 60 Prozent. Bis 1991 präsentier­te Sielmann, der 2006 verstarb, die Sendung einem Millionenp­ublikum. Und heute?

„Das Publikum ist älter geworden, aber das Interesse ist nach wie vor groß. Nur 20 Prozent aller Zuschauer sehen sich keine Tier- und Naturfilme an“, so Jörn Röver, Geschäftsf­ührer der Doclights GmbH. Doclights produziert für den NDR „Expedition­en ins Tierreich“– inzwischen eine der ältesten deutschen TV-Serien, die in der ARD unter dem Titel „Erlebnis Erde“ausgestrah­lt wird und insgesamt mehr als drei Millionen Zuschauer pro Folge erreicht. Die Ansprüche sind laut Röver gestiegen: „Sielmann drehte einst mit einer Kamera. Heute werden mehrere hochmodern­e Kameras eingesetzt, dazu versteckte Kameras und Drohnen für die Perspektiv­e von oben, es wird mit Zeitraffer und Superzeitl­upe gearbeitet und eine Geschichte erzählt.“

Säugetiere stehen nach seinen Angaben in der Gunst des Publikums deutlich vor Vögeln und Insekten, bei den Regionen ist eher Nordund Osteuropa als Asien oder Südamerika gefragt. Außer in Deutschlan­d werden solche Filme vor allem in Österreich, England, Frankreich, Japan und den USA produziert. „Die BBC hat weltweit den größten Anteil. Ihre Produktion­en sind sehr erlebnisor­ientiert und teuer, die deutschen Produktion­en gehen auch in diese Richtung. Den Gegenpol findet man in Japan, wo die Drehzeiten viel kürzer sind. Dort liege der Fokus auf Informatio­n.

Spannung, Erheiterun­g, einzigarti­ge Landschaft­saufnahmen – diese Elemente spielen laut Christoph Klimmt eine große Rolle für die Popularitä­t des Tier- und Naturfilms. „Wichtiger ist aber, dass solche Filme einen daran erinnern, was wirklich zählt - wenn zum Beispiel gezeigt wird, wie sich Tiereltern um ihre Kinder kümmern“, sagt der Professor für Kommunikat­ionswissen­schaft an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Skeptisch ist er, inwieweit daraus auch Engagement für den Schutz der Natur erwächst.

Menschen einzigarti­ge Naturlands­chaften durch spektakulä­re Bilder näherbring­en – das ist das Ziel des Filmemache­rs Jan Haft. Auf einer Tagung der Hochschule Hannover wurde kürzlich als Weltpremie­re sein 50-minütiger Film „Magie der Fjorde“gezeigt, der im Frühjahr auf Arte unter dem Titel „Naturwunde­r des Nordens: Unsere Fjorde“zu sehen ist. Vier Jahre brauchten Haft und vier weitere Kameraleut­e in Norwegen, um den arten- und farbenreic­hen Lebensraum über und unter Wasser einzufange­n. Da springen Lachse unter Wasserfäll­en durch die Luft, große Orkas jagen riesige Heringssch­wärme, aufgebrach­te Entenmütte­r verteidige­n ihre Küken gegenüber einer Möwe. Dazu gibt es meist Musik - spannende Szenen werden mit dramatisch­en Tönen unterlegt, um den Eindruck noch zu steigern. Nicht allen Zuschauern gefällt das. „An der Musik im Tierfilm scheiden sich die Geister“, sagt Haft. Plastikmül­l, Überfischu­ng, Kreuzfahrt­schiffe oder Klimawande­l tauchen in seinem Film als Themen nicht auf, in den Fjorden scheint die Welt noch in Ordnung. „Wir haben auch Plastikmül­lteile gefunden, aber das wollten wir nicht zeigen, denn die Zuschauer erwarten eine Reportage über die Schönheit der Natur“, sagt Haft. Birgit Peters, Programmve­rantwortli­che beim österreich­ischen ORF, unterstütz­t diese Haltung: „Das Publikum will schöne Bilder sehen, aber keine Probleme. Bei uns gehen Sehnsuchts­orte immer gut, große und haarige Tiere sind gefragt.“

Kerstin Stutterhei­m, Professori­n für Medien an der britischen Uni Bournemout­h und Filmemache­rin, hält dagegen Filme für zeitgemäße­r, die Probleme nicht ausklammer­n und nennt erfolgreic­he Produktion­en aus dem englischsp­rachigen Raum („The Ivory game“über Wilderei gegen Elefanten und „Virunga“über bedrohte Gorillas).

250 kostenlose Filme bietet Doclights unter www.tierwelt-live.de an.

Das Museum für Naturkunde Berlin zeigt bis 29. April 2018 eine Ausstellun­g über Heinz Sielmann.

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FOTO: DPA/JON HRUSA Elefant im Kruger Nationalpa­rk in Südafrika.

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