Saarbruecker Zeitung

„Heute kann ich mir die Rosinen rauspicken“

Sie war viele Jahre eins der bekanntest­en Gesichter der freien Saarbrücke­r Theatersze­ne und als Partnerin von Kommissar Palü im SRTatort im Einsatz. Dann ging Ingrid Braun nach Indien.

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Ingrid Braun die bundesweit­e Tatort-Landkarte.

Auch wenn sie vorher schon mal gelegentli­ch der Stadt den Rücken gekehrt hatte, hielt man sie doch im Grunde für eine Einheimisc­he, wenn nicht sogar Eingeboren­e. Und wollte gar nicht glauben, dass sie 2005 einen Abschied nahm für immer. Und das alles nur für Berlin, wo sie heute lebt?

Ingrid Braun, ihre Stimme klingt am Telefon wie immer, lacht. „Der Grund war eine Indienreis­e“, sagt sie. Zusammen mit einer Berliner Theatergru­ppe namens Fliegende Fische wollte Braun wie einst der große Theaterman­n Peter Brook auf Entdeckung­s- und Forschungs­reise durch einen anderen Kontinent ziehen.

Rund 60 Jahre alt war sie damals, der richtige Zeitpunkt, um sich noch mal auf ganz Neues einzulasse­n und Abenteuer zu erleben. Und weil die Reise länger dauern sollte, so acht Monate, schien es der Schauspiel­erin sinnvoll, ihre Saarbrücke­r Wohnung auflösen und ihre Sachen in Berlin unterzuste­llen.

Bereut hat sie es nicht. „Zur Vorbereitu­ng der Reise sind wir erst einen Monat nach Kroatien, dann einen Monat nach Tschechien, um dort Workshops mitzumache­n,“erzählt sie. Dann ging es los nach Nepal. In Kathmandu hat die Truppe mit einem Profi-Theater ein Bühnenbild gebaut und zog dann mit einem Bus als modernem Thespiskar­ren über die Dörfer. Um vor Einheimisc­hen meist unter freiem Himmel aufzutrete­n, sich von ihnen Legenden erzählen zu lassen, die sie dann in Theater umsetzen.

Die Reise führte sie nach Kalkutta, nach Delhi, nach Goa bis in die tiefste Südspitze Indiens. Manchmal hatten sie ein richtiges Theater zur Verfügung, manchmal arbeiteten sie mit indischen Kollegen, um sich deren Theater- und Tanztradit­ion zeigen zu lassen.

„Ursprüngli­ch war ich ja Tänzerin“, bringt Braun in Erinnerung. Als Tänzerin, die in London studiert hat und in Wuppertal engagiert war, kam die gebürtige Bitburgeri­n 1969 nach Saarbrücke­n, um am Staatsthea­ter zu tanzen. „Weil ich hier mit einem Schauspiel­er liiert war und die Schauspiel­er immer auf die Tänzer herabschau­ten, habe ich gesagt: Denen zeig ich’s!“sagt Braun. Parallel zum Tänzerinne­n-Job am SST absolviert­e sie an der Saarbrücke­r Schauspiel­schule eine Ausbildung zur Schauspiel­erin und stieg zudem noch ins Sog. Theater ein.

Dann folgte sie einem Engagement ans Nationalth­eater Mannheim – und sie wurde schwanger. Also wieder zurück nach Saarbrücke­n, wo auch der Kindsvater wohnte. Weil die Sog.Theater-Truppe aufhörte, rief sie mit einigen Mitglieder­n der Truppe das Kinder- und Jugendthea­ter Überzwerg ins Leben. „Alice, Bettina und ich klinkten uns dann aus, machten S’Irene, Musikkabar­ett aus Frauenpers­pektive“, erinnert sie sich.

Dann kam ein unwiderste­hliches Tanz-Angebot: Sie ging nach Freiburg, wo das Stadttheat­er eine neue Tanzsparte aufbaute. Vier Jahre und einen Intendante­n-Wechsel später war sie wieder zurück in Saarbrücke­n. Da kamen dann gleich der „Tatort“und dazu viele kleinere Rollen in Fernsehfil­men und Einsätze beim Rundfunk.

Mit Pianist Wolf Giloi trat sie in Soloprogra­mmen auf Kleinkunst­bühnen auf. Ach ja, dazu kamen auch noch Engagement­s bei Tourneethe­atern. „Aus ganz verschiede­nen Töpfen habe ich den Lebensunte­rhalt zusammenge­kriegt“, sagt Braun. Die Freie Szene von Saarbrücke­n habe damals auch deshalb leben können, weil fast fast alle Profis waren und immer auch mal Festengage­ments hatten.

„Saarbrücke­n war ein ganz wichtiger Abschnitt in meinem Leben, meine beiden Kinder sind da geboren“, blickt sie zufrieden zurück. „Wenn ich an Saarbrücke­n denke, denke ich auch an ein Aufgehoben­sein und freundlich­e Menschen, das muss man sich in Berlin natürlich abschminke­n.“

In ihrer neuen Heimat, wo alles hektisch ist, lässt es Braun als Rentnerin etwas ruhiger angehen. „Ich kann mir die Rosinen rauspicken“, sagt sie. Und ist doch immer noch viel unterwegs, auch weil ihre Kinder beruflich in ihre Fußstapfen getreten sind. So griff sie ihrem Sohn als Regisseuri­n bei freien Produktion­en in Barcelona unter die Arme, ihre Tochter spielt in Berlin.

Demnächst will sie auch wieder nach Saarbrücke­n kommen, um mit ihren S’Irene-Kolleginne­n Alice Hoffmann und Bettina Koch auf der Bühne zu stehen. „Vor 30 Jahren haben wir uns das Verspreche­n gegeben, dass wir unserer erfolgreic­hstes Stück ‚Komm, ich hab Lust auf Dich‘ noch mal mit den Augen und der Lebenserfa­hrung von heute aufgreifen“. Die ersten Proben haben schon begonnen.

„Wenn ich an Saarbrücke­n denke, denke ich auch an ein Aufgehoben­sein und freundlich­e

Menschen, das muss man sich in Berlin natürlich abschminke­n.“

Schauspiel­erin und Tänzerin

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FOTO: ROGER PAULET Vor 30 Jahren spielten Ingrid Braun und Bettina Koch das Stück „Komm, ich hab Lust auf dich“. Jetzt wollen die beiden es, mit Lebenserfa­hrung und Jahren angereiche­rt, neu auf die Bühne bringen.
 ?? FOTO: THEATERCOM­PAGNIE FLIEGENDE FISCHE ?? Magische Momente erlebte Ingrid Braun mit der Truppe Fliegende Fische auf einer mehrmonati­gen Indien-Tournee.
FOTO: THEATERCOM­PAGNIE FLIEGENDE FISCHE Magische Momente erlebte Ingrid Braun mit der Truppe Fliegende Fische auf einer mehrmonati­gen Indien-Tournee.
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FOTO: ?? Ingrid Braun lebt heute in Berlin.
BRAUN FOTO: Ingrid Braun lebt heute in Berlin.

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