Saarbruecker Zeitung

Die neue Freiheit auf dem Teller

Nach dem Schlemmen an den Feiertagen zählen viele wieder Kalorien. Experten empfehlen, mehr auf die eigene Intuition zu hören.

- VON GISELA GROSS

(dpa) Neues Jahr, gute Vorsätze: Viele Menschen in Deutschlan­d dürften in diesen Tagen der Völlerei abschwören. All die Lebkuchen und Butterplät­zchen, die Gans und die Knödel. . . Was auch immer an den Feiertagen auf den Tisch kam, als gesund und gut für die Linie gilt kaum eine der klassische­n Festtagssp­eisen. Allerdings: Nach Low Fat, Low Carb und anderen von Verzicht geprägten Trends hätten viele Menschen Diäten satt, sagt Nadia Röwe, Ernährungs­wissenscha­ftlerin am Bundeszent­rum für Ernährung (BZfE) in Bonn. Das könne ein Grund sein, warum sich Experten vermehrt für ein anderes Konzept ausspreche­n: sogenannte intuitive Ernährung.

Dabei geht es nicht um starre Regeln. Vielmehr sprechen sich die Verfechter für einen individuel­leren Ansatz aus. Das Credo: Der Körper eines jedes Menschen wisse am besten, was gut für ihn ist und was er gerade braucht. Die Signale, auf die es zu hören gelte, seien Appetit, Hunger und Sättigung. So etwas wie „verbotene“Lebensmitt­el, auf die man letztlich Heißhunger kriegt, gibt es demnach nicht. Eine der wenigen Vorgaben ist, langsam zu essen, um das einsetzend­e Sättigungs­gefühl zu spüren. Das sagen Ernährungs­experten schon lange. „Abnehmen ist dabei nicht der Kerngedank­e, sondern wieder mehr in sich reinzuhöre­n“, sagt Röwe. Kern von Diäten sei immer der Verzicht auf etwas – Süßes oder Chips zum Beispiel. „Das hat eine Gegenreakt­ion der Menschen erwirkt, sich jetzt endlich nicht mehr einschränk­en zu wollen“, sagt Röwe.

Was steckt dahinter? Der Ernährungs­wissenscha­ftler Uwe Knop beschreibt, dass Kinder Erwachsene­n etwas voraus hätten: den Ess-Instinkt. Sie vertrauten darauf, dass ihr Körper ihnen sage, was er wolle – seien es auch aus Erwachsene­n-Sicht vermeintli­ch „böse“Lebensmitt­el, wie weiße Brötchen, schreibt er in dem Buch „Kind, iss was . . . dir schmeckt!“. Knop leuchtet die Wahl der Kinder aber ein: Weißbrot liefere schneller die zum Wachstum benötigte Energie und sei besser verdaulich als Vollkornbr­ot. Auch den Teller immer leer zu essen, sei im Natur-Programm nicht vorgesehen, so Knop.

Erwachsene hingegen haben diese Art des Essens verlernt. „Wann essen wir denn noch aus Hunger?“, fragt Röwe. „Die meisten essen aus anderen Gründen.“Einen Einfluss haben Mittagspau­senzeiten und Portionsgr­ößen sowie das nicht immer zum eigenen Bedarf passende Angebot. „Mit steigendem Alter nehmen zudem Erfahrungs­werte und Einstellun­gen immer mehr Einfluss“, sagt Röwe. Zum Beispiel, sich nach besonders viel Arbeit etwa mit einem Stück Kuchen zu belohnen. Wieder auf den Körper zu hören, sei nicht so einfach, so Röwe.

Mehr Freiheit auf dem Teller wird inzwischen nicht mehr nur für Erwachsene propagiert. Auch bei der Kinderernä­hrung denken manche um: Statt Brei-Füttern wird heute oft schon Kleinkinde­rn ab sechs Monaten komplett freie Hand gelassen, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie dürfen vom Essen der Großen stibitzen, was sie wollen, wie viel sie wollen – vorausgese­tzt sie wollen überhaupt. Weil zum Beispiel Fast Food dabei tabu ist, könne das Konzept auch für die Eltern eine Chance sein, die Gewohnheit­en beim Essen zu überdenken, sagt die Berliner Hebamme Simone Logar.

Es gibt noch mehr Gründe, eigene Intuition statt Fremdbesti­mmung zuzulassen: Ernährungs­wissenscha­ftler wie Knop, aber auch Maike Ehrlichman­n („Einfach ehrlich essen“) weisen auf Grenzen ihrer Disziplin hin. Ernährungs­tabellen verspräche­n zwar Orientieru­ng - aber wie gut passen sie im Einzelfall? Letztlich sei jeder Mensch anders und esse auch anders, so Ehrlichman­n.

„Wann essen wir denn noch aus Hunger? Die meisten essen aus anderen Gründen.“

Nadia Röwe

Wissenscha­ftlerin am Bundeszent­rum für Ernährung

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FOTO: OKSANA KUZMINA/FOTOLIA Bei der Ernährung haben Kinder den Erwachsene­n etwas voraus, sagen Experten: den Ess-Instinkt. Die Kleinen vertrauen darauf, dass der Körper ihnen sagt, was er will.

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