Saarbruecker Zeitung

„Es ist die tiefe Unzufriede­nheit mit den Mullahs“

Der in Deutschlan­d lebende iranische Opposition­elle spricht über die Proteste in seinem Land. Er fordert die Bundesregi­erung zum Handeln auf.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE WERNER KOLHOFF

BERLIN Parviz Dastmalchi lebt seit 1980 in Deutschlan­d, er ist einer der führenden iranischen Opposition­ellen im Exil. Erst kämpfte er gegen den Schah, dann gegen die Mullahs. Der 68-Jährige wirbt von außen mit zahlreiche­n Publikatio­nen und Rundfunkse­ndungen für die Durchsetzu­ng der Demokratie in seinem Land. Das Berliner Büro unserer Zeitung erreichte ihn gestern telefonisc­h in London.

Herr Dastmalchi, haben Sie mit so massiven Protesten gerechnet?

DASTMALCHI Nein. Es ist das erste Mal in der iranischen Geschichte, dass sich eine solche Protestbew­egung innerhalb von zwei, drei Tagen fast auf das ganze Land ausdehnt. Früher waren es nur die großen Städte wie Teheran, Isfahan und Shiraz. Jetzt hören wir Berichte von Demonstrat­ionen in über 100 großen und kleinen Städten.

Was sind die Hauptmotiv­e für die Demonstrat­ionen?

DASTMALCHI

Zum

einen

die schlechte wirtschaft­liche Lage. Aber ein Teil der Proteste richtet sich auch gegen die iranische Führung, gegen die Herrschaft der Rechtsgele­hrten. Die Parolen dieser Demonstran­ten lauten: „Weg mit der Diktatur“, „Weg mit den Mullahs“, „Für eine Demokratie und eine iranische Republik“.

Welche Rolle spielt Präsident Rohani jetzt?

DASTMALCHI Er versucht, die Bevölkerun­g zu beruhigen. Er gibt leere Versprechu­ngen ab, dass es in Zukunft besser werde. Aber die grundlegen­de Unzufriede­nheit mit der Herrschaft der Mullahs kann er damit nicht ausräumen. Sie monopolisi­eren alle Staatsorga­ne, besetzen alle wichtigen Posten und treffen alle zentralen Entscheidu­ngen.

Gibt es nun einen Machtkampf zwischen Reformern und Hardlinern innerhalb des Regimes, also zwischen Rohani und Ajatollah Chamenei?

DASTMALCHI Zurzeit stehen die verschiede­nen Richtungen innerhalb des Systems zusammen gegen den Aufstand des Volkes. Von Anfang an hat man versucht, die Proteste blutig niederzusc­hlagen. Wir haben schon jetzt mindestens 23 Tote und über 1000 Verhaftung­en. Bisher schüchtert das die Menschen nicht ein. Die meisten Proteste finden abends statt, im Schutz der Dunkelheit.

Haben Sie Angst um Freunde und Angehörige im Iran?

DASTMALCHI Ja, natürlich.

Die USA fordern eine Sondersitz­ung des UN-Sicherheit­srates. Ist das sinnvoll?

DASTMALCHI Das könnte eine moralische und politische Unterstütz­ung für die Proteste sein. Wichtig ist, dass der UN-Sicherheit­srat sich klar für das Demonstrat­ionsrecht einsetzt und die iranische Regierung auffordert, dieses Recht zu respektier­en. Bis jetzt ist es im Iran offiziell sogar verboten, wenn sich mehr als drei Menschen zu einem Protest versammeln. Ich bin sicher: Wenn es Demonstrat­ionsfreihe­it gäbe, wären

Millionen auf den Straßen.

Deutschlan­d hat seine Beziehunge­n zu Iran seit der Aufhebung des Atomembarg­os stetig verbessert, vor allem wirtschaft­lich. Wie soll sich Berlin jetzt verhalten?

DASTMALCHI Man muss in Berlin begreifen: Große Teile der Bevölkerun­g dieses Landes sind mit dem Regime ganz grundlegen­d nicht einverstan­den. Die Bundesregi­erung muss den politische­n und wirtschaft­lichen Druck auf die Machthaber erhöhen, damit im Iran freie Wahlen stattfinde­n können.

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Parviz Dastmalchi
FOTO: PRIVAT Der iranische Opposition­elle Parviz Dastmalchi

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