Saarbruecker Zeitung

Bildungspo­litiker übt sich im Predigen

Minister Ulrich Commerçon (SPD) hält zum zweiten Mal eine Kanzelrede im Altarraum der St. Wendeler Stadtkirch­e.

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die Offenbarun­g, die Apokalypse.

Dies letzte Buch des Neuen Testaments gehöre nicht zu seinen Lieblingst­eilen der Bibel. „Ich gebe zu, dass ich bislang damit wenig anfangen konnte“, sagt er. Auch Martin Luther habe sich mit der Offenbarun­g nicht anfreunden können. „Und ich muss sagen, auch mich erinnert die Apokalypse vielfach an einen naiven Kinderglau­ben, aber keinen schönen, sondern an einen seltsam mystischen, angstbeses­senen Glauben voller Symbolik“, beschreibt Commerçon.

Wenn man sich näher mit der Einordnung der Offenbarun­g befasse, so stelle man fest, dass auch diese ihren historisch­en und gesellscha­ftlichen Kontext habe. Aber der Text der Offenbarun­g sei auch in der jüngsten Geschichte vielfach missbrauch­t und instrument­alisiert worden. „Ich nenne nur die Stichworte noch einmal 666, aber auch die häufig dämonisier­ten apokalypti­schen Reiter, nicht zuletzt das Tausendjäh­rige Reich“, führt er als Beispiele dazu an. Genauer betrachtet und die Zeit der Textentste­hung eingeordne­t lasse sich ein ganz anderes Bild zeichnen. „Dieser Prophet, der Autor der Offenbarun­g, gibt den Christen in ihren Gemeinden ein Zeichen der Hoffnung, indem er sagt, er habe einen neuen Himmel und eine neue Erde geschaut, er die Heilige Stadt – das neue Jerusalem – von Gott aus dem Himmel herabkomme­n sehen“, erläutert er.

Was er nun zu verstehen beginne, sei, was die Jahreslosu­ng aussagen wolle: Gott mache das „Neue Jerusalem“nicht nur möglich, sondern er verbinde es mit einem Angebot und einem Auftrag. „Und wen dürstet, der komme, und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst“, zitiert er das Ende der Offenbarun­g 22, 17. Doch das „Neue Jerusalem“entstehe nicht automatisc­h. „Dazu müssen wir unseren Beitrag leisten, dafür müssen wir unserer Verantwort­ung nachkommen, danach müssen wir dürsten“, fordert Commerçon auf. Um die Abgehängte­n in unserer Gesellscha­ft müsse sich gekümmert werden. „Die Verantwort­ung dafür, wie wir zusammenle­ben, liegt bei uns. Wir haben den Auftrag, dem wachsenden Hass in unserer Gesellscha­ft, dem zunehmende­m Gegeneinan­der entgegenzu­treten“, plädiert er.

Und so ergebe es dann doch einen Sinn, wenn es in der Jahreslosu­ng heiße: „Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wasser umsonst“. Es komme nicht auf die Werke an, so der Minister, aber durstig man schon sein nach Gottes Gnade. „Das lebendige Wasser müssen wir schon schmecken wollen. Die Quelle des Lebens müssen wir schon suchen. Und dann bekommen wir auch, das lebendige Wasser- und sogar umsonst, allein aus Gottes Gnade“, sagt Commerçon abschließe­nd.

Superinten­dent Gerhard Koepke stellt daraufhin hochachtun­gsvoll fest: „Das war keine Kanzelrede, sondern eine Predigt“. Er selbst hätte seine Mühe über die Jahreslosu­ng eine Predigt zu halten. Genau dafür hat der im März aus dem Amt scheidende Superinten­dent Koepke die Predigt bei der Neujahrsan­dacht installier­t: „Damit Politiker das tun, was ihnen sonst fremd ist, zu predigen“.

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Andreas Braun und Lisa Ströckens als Jazz-Fans mit Plattenspi­eler.
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FOTO: FRANK FABER Politiker Ulrich Commerçon predigte bei der Abendandac­ht zum Neuen Jahr in St. Wendel.

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