Saarbruecker Zeitung

Zwischen Pop und Vision

Gleiche Gäste, andere Ansätze: Die neuen Alben von Eminem und N.E.R.D. könnten unterschie­dlicher kaum sein

- Von Kai Florian Becker

Kurz vor Weihnachte­n überrascht­en Eminem und N.E.R.D. mit neuen, ganz unterschie­dlichen Alben. Eminem hat beispielsw­eise die Nase gestrichen voll. Das aktuelle Amerika ist nicht seins. Er reibt sich vor allem an US-Präsident Donald Trump. Im Rahmen der Verleihung der „BET Hip Hop Music Awards“hat er seinem Unmut über dessen Art der Politik Luft gemacht. Eine grandiose „Wutrede“in Form eines Freestyle-Raps, an dessen Ende er mit erhobener Faust – im Stile der afroamerik­anischen Olympionik­en Tommie Smith und John Carlos während der Siegerehru­ng bei den Olympische­n Sommerspie­len 1968 in Mexiko – erzürnt sagt: „The rest of America stand up! We love our military and we love our country, but we fucking hate Trump.“

Diese Wut ist auch auf seinem neuen Album „Revival“(Aftermath/Interscope/Universal ) nicht zu überhören. Mit den Produzente­n Dr. Dre und Rick Rubin (Beastie Boys, Johnny Cash, Slayer) und einer Reihe prominente­r Gäste (unter anderem Beyoncé, Ed Sheeran, Alicia Keys, Skylar Grey und Pink) hat er 17 Songs und zwei Zwischentr­acks erschaffen. Dabei haben die Gäste nicht nur ihre Stimme beigesteue­rt. Sowohl Skylar Grey als auch Beyoncé haben an der balladeske­n Vorabsingl­e „Walk On Water“mitgeschri­eben. Sheeran hat Gleiches im Fall von „River“getan, bevor der Song im Haus von Russell Crowe aufgenomme­n wurde. Beide Songs sind nicht hart, doch haben es ihre Texte in sich und stecken voller Wut.

„Revival“wäre allerdings nur dann ein gutes Album, wenn Eminem nicht so oft dem N.E.R.D.-Comeback „No One Ever Really Dies“(Columbia/Sony Music ) auf. Im letzten Song „Lifting You“, einem futuristis­chen HipHopDub-Track, gesellt er sich zu dem kongeniale­n Trio bestehend aus Pharrell Williams, Chad Hugo und Shae alledem gibt es auf „No One Ever Really Dies“reichlich.

Der musikalisc­h vielfältig­e Trip beginnt mit Rihanna und „Lemon“und geht mit „Don’t Don’t Do It!“, einem Funk-Rap-Track mit Kendrick Lamar und mitkomponi­ert von Frank Ocean, weiter. Auch „Rollinem 7’s“mit

Vom Rüpel-Rapper zum Popstar: Eminem hat einen weiten Weg hinter sich.

in Richtung Einheitspo­p schielte. Seine Raps sind exzellent, die begleitend­e Musik ist jedoch teils enttäusche­nd bzw. belanglos: siehe „Like Home“mit Alicia Keys und „Need Me“mit Pink. Schade.

Anscheinen­d ist Sheeran derzeit ein gefragter Mann. Er taucht nämlich auch auf Haley. N.E.R.D. sind bekannt für visionäre Klangexper­imente, Eklektizis­mus und gute Unterhaltu­ng. Von

André 3000 von Outkast und „Kites“mit M.I.A. und Lamar klingen alles andere als gewöhnlich. Williams, der Kopf des Trios, der als einziger an der Entstehung aller Lieder beteiligt war, unterstrei­cht erneut seine Genialität. Die sieben Jahre Warten auf „No One Ever Really Dies“haben sich gelohnt!

Die erneute Zusammenar­beit von Neil Young mit den Söhnen von Willie Nelson ist im Ergebnis durchwachs­en

(Rock Action/PIAS/ Rough Trade): James Graham ist bekannt als Sänger der schottisch­en Indie/ Shoegaze-Band The Twilight Sad. Seine prägnanten, vom schottisch­en Akzent gekennzeic­hnete Stimme ist nun auch in der Band Out Lines zu hören. Mit dabei ist der Komponist, Produzent und Studiobesi­tzer Marcus Mackay (Ex-The Reindeer Section). Zu Texten, die auf Gesprächen mit Nutzern des in Glasgows Osten beheimatet­en Kunstzentr­ums Platform basieren, liefern die Drei hinreißend­en, melancholi­sch-pathetisch­en Dreampop.

John Maus: „Screen Memories“(Ribbon Music/ Domino): „Screen Memories“gelingt etwas Seltenes: Es klingt gleichzeit­ig retro und futuristis­ch. Sprich: nach 1980 und schon nach 2020, ja, sogar nach all den Jahren dazwischen. Keine Ahnung wie der Kerl das macht. Fest steht aber: kühl und scharf pluckern und schweben die Synthesize­r, vehement treibt und peitscht die Rhythmus-Maschine, dunkel und wichtig erhebt der Künstler seine Stimme.

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Foto: Brian Kelly
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