Saarbruecker Zeitung

Ein Tee gegen die diplomatis­che Eiszeit

Außenminis­ter Gabriel und sein türkischer Amtskolleg­e suchten in Goslar Wege aus der Krise. Die Ideen: Probleme ausklammer­n – und ein Tausch. Mehr Waffen gegen Yücels Freilassun­g.

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Doch ganz so geschmeidi­g ist der SPD-Politiker, den Cavusoglu auf türkisch immer wieder „Dostum Sigmar“(„mein Freund Sigmar“) nennt, nicht. Gabriel gibt sich zwar Mühe, die türkische Seele zu streicheln: Er lobt den Beitrag türkischer Arbeiter am wirtschaft­lichen Aufstieg Deutschlan­ds und die türkische Hilfe für syrische Flüchtling­e. Er spricht von „Respekt“und Beziehunge­n „auf Augenhöhe“. Doch gleichzeit­ig betont Gabriel, dass man „nicht immer einer Meinung“sei und gibt bei Kernforder­ungen nicht nach: Die Wiederaufn­ahme deutscher Rüstungsli­eferungen in das Nato-Land Türkei hängen für ihn davon ab, ob Mehrere Genossen haben sich in der „Welt“für eine weitere Amtszeit von Sigmar Gabriel (SPD) ausgesproc­hen. „Ich sehe niemanden, der das Amt des Außenminis­ters besser bekleiden kann als Gabriel“, sagte beispielsw­eise der ehemalige Entwicklun­gsminister Erhard Eppler. Gabriel hat das Amt 2016 von Parteikoll­ege Frank-Walter Steinmeier übernommen. Sein Stil gilt jedoch als konfrontat­iver. beide Staaten ihre Probleme, zu denen er auch den Fall des inhaftiert­en „Welt“-Korrespond­enten Deniz Yücel zählt, „miteinande­r lösen“.

Immerhin: So viel Lächeln und gegenseiti­ges Schulterkl­opfen wie in Goslar war bei Treffen zwischen deutschen und türkischen Regierungs­vertretern lange nicht zu sehen. Das gefällt nicht allen. Als Gabriel und sein türkischer Gast von der Kaiserpfal­z durch die Goslarer Altstadt zum Restaurant „Trüffel“spazieren, ruft ein älterer Mann in Outdoorjac­ke und Mütze: „Siggi, das war ein Fehler.“Später sagt der Zwischenru­fer, ihm missfalle der „Kuschelkur­s“der deutschen Regierung gegenüber der Türkei. Er ist nicht der einzige Zaungast bei diesem Besuch, der am Morgen mit einem türkischen Tee im Wintergart­en von Gabriels Privathaus begonnen hat. Demonstran­ten halten ein Transparen­t hoch, auf dem sie die Freilassun­g aller politische­n Gefangenen in der Türkei fordern. Auf der anderen Straßensei­te schwenken etwa 50 Anhänger des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan türkische Fahnen. Sie rufen laut den Namen ihres politische­n Idols.

Das Treffen in Gabriels malerische­r Heimatstad­t zeigt: Wie in einer Paarbezieh­ung, so ist es auch in der Diplomatie nicht einfach, zur Normalität zurückzufi­nden, wenn alte Verletzung­en noch schmerzen. Erdogan hatte sich darüber aufgeregt, dass ihn deutsche Satiriker durch den Kakao zogen. Die Absage von Wahlkampf-Auftritten türkischer Politiker in deutschen Sälen brachte ihn zum Toben. Außerdem suchten seit 2016 einige seiner Gegner in Deutschlan­d um Asyl nach.

Die deutsche Regierung musste ihrerseits Nazi-Vergleiche ertragen und zusehen, wie deutsche Staatsbürg­er in der Türkei wegen angebliche­r Unterstütz­ung für Terrorgrup­pen inhaftiert wurden. Die Vorwürfe gegen sie – so sieht man es in Berlin – sind an den Haaren herbeigezo­gen.

Vielleicht kommt die Entspannun­g im deutsch-türkischen Verhältnis jetzt voran, weil die Führung in Ankara aktuell mit der US-Regierung im Clinch liegt – wegen eines Ermittlung­sverfahren­s gegen türkische Staatsbürg­er im Zusammenha­ng mit Iran-Sanktionen. Schließlic­h hatte Erdogan im Dezember die Parole ausgegeben, die Türkei wolle „die Zahl der Feinde verringern und Freunde vermehren“. Ob davon auch Deniz Yücel profitiere­n wird, der sich in seiner Untersuchu­ngshaft wie eine „Geisel“fühlt, ist schwer abzusehen.

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FOTO: GÄRTNER/IMAGO Fast privat: SPD-Politiker Gabriel empfing Türkeis Außenminis­ter Cavusoglu zu Hause in Goslar.

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