Saarbruecker Zeitung

Das Internet wächst vielen über den Kopf

Die digitale Vernetzung hat die Kommunikat­ion ausufern lassen. Das sorgt bei vielen Nutzern für Stress. Wer ihn eindämmen will, muss aktiv werden.

- VON KATHARINA ROLSHAUSEN

DÜSSELDORF Die Deutschen wollen im neuen Jahr Stress abbauen. Dieser Wunsch steht auf Platz eins der guten Vorsätze für 2018, wie die Krankenkas­se DAK ermittelt hat. Und jeder sechste Deutsche will zukünftig seltener online gehen. Dass es einen Zusammenha­ng zwischen diesen Wünschen gibt, weiß der Stressfors­cher Professor Nico Dragano vom Institut für Medizinisc­he Soziologie in Düsseldorf. Denn digitale Medien können ein großer Stressfakt­or sein. „Die Symptome unterschei­den sich nicht vom normalen Stress: Schlafstör­ungen, Nervosität, depressive Stimmung.“

Als Auslöser für digitalen Stress nennt er unter anderem die hohen Anforderun­gen durch die digitale Kommunikat­ion. „Insbesonde­re EMails führen oft zu einer Arbeitsver­dichtung, da immer mehr Mails in kürzerer Zeit auflaufen und Zeit und Aufmerksam­keit fordern.“Wenn die Nachrichte­n-Flut überhandni­mmt, kann ein E-Mail-Management helfen. Einen Ratgeber finden Nutzer zum Beispiel unter www.zeitzulebe­n.de/8-tipps-furein-effektives-e-mail-management.

Ein Tipp lautet, eine feste Prozedur in der Bearbeitun­g von E-Mails einzuführe­n, etwa indem sie gleich nach Eingang in einen der vier Unterordne­r „Beantworte­n“, „Bearbeiten“, „Später lesen“und „Aufheben“geschoben werden. Die daraus resultiere­nde Arbeitsrou­tine, etwa ein wöchentlic­her Termin für den „Später lesen“-Ordner, könne dabei helfen, Stress zu vermeiden. „Gestaltet man digitale Arbeit richtig, dann können sich Belastunge­n auch verringern lassen. Es gibt zum Beispiel eine Studie, die zeigt, dass der Stress sinkt, wenn E-Mails nur noch zu vorgegeben­en Zeiten abgefragt werden“, sagt Dragano.

Auf die Frage, ob das Internet selbst zur Entspannun­g beitragen kann, etwa mit einem kleinen Onlinespie­l Nico Dragano Stressfors­cher

oder Naturfilme­n, reagiert der Stressfors­cher zurückhalt­end: „Im Einzelfall kann das Katzenvide­o vielleicht für Ablenkung sorgen, die Empfehlung für eine erholsame Pause ist aber eigentlich eine andere. Es ist nämlich besser, die Arbeitsrou­tine zu unterbrech­en und etwas komplett Anderes zu machen.“Wenn man seinen Arbeitstag vor dem Rechner verbringe, sei der Klick auf das unterhalts­ame Onlinespie­l eher eine Fortsetzun­g der Belastung mit anderen Mitteln. Besser sei es, die Augen zu schließen, aus dem Fenster zu schauen und sich zu bewegen. Wer es dennoch einmal mit Katzen-Videos versuchen möchte, findet eine Sammlung unter der Adresse www.katzenvide­os.nonsence.de.

Webseiten zum Entspannen gibt es im Internet einige, zum Beispiel http://erppy.co, auf der bunte Bilderwelt­en und elektronis­che Klänge den Betrachter aus dem Alltag entführen sollen. Wer lieber einen virtuellen Ausflug in die Natur unternehme­n will, kann sich unter https://relax.li einen Palmenstra­nd mit Meeresraus­chen, plätschern­de Wasserfäll­e, gluckernde Gebirgsbäc­he in grüner Waldkuliss­e oder ein knisternde­s Holzfeuer auf den Bildschirm holen. Regengeräu­sche und entferntes Donnergrol­len sollen auf www.rainymood.com zur Entspannun­g beitragen.

Bei Online-Anleitunge­n für Yoga sowie Entspannun­gs- und Meditation­stechniken ist Nico Dragano vorsichtig: „Yoga wird mittlerwei­le in der Rehabilita­tion eingesetzt und kann durchaus bei der Kontrolle von psychische­n Belastunge­n helfen. Allerdings sind es dort Profis, die die Techniken vermitteln.“Ob ein Erklärvide­o die Yogalehrer­in ersetzen könne, sei zweifelhaf­t.

Digitalen Stress kennt Dragano auch aus seinem eigenen berufliche­n Alltag, er und seine Kollegen „ertrinken in Mails und haben immer komplexere Programme zu bedienen“. Sie hätten zwar schon Einiges aus der Forschung ausprobier­t, um damit besser umzugehen, „der große Wurf war aber ehrlich gesagt noch nicht dabei“. Der Experte sieht das Internet jedoch nicht nur als Stressfakt­or: „Digitalisi­erung hat auch positive Seiten. Insbesonde­re dann, wenn bestehende Potenziale genutzt werden, statt die neue Technik einfach dazu zu verwenden, immer mehr Arbeit zu erzeugen.“www.zeitzulebe­n.de www.katzenvide­os.nonsence.de http://erppy.co https://relax.li www.rainymood.com

„Gestaltet man digitale

Arbeit richtig, dann können sich Belastunge­n auch verringern lassen.“

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Wenn berufliche E-Mails überhandne­hmen, kann das auf die Stimmung schlagen.

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