Saarbruecker Zeitung

Erdogan betreibt nur noch knallharte Interessen­politik

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Mit einem Doppelbesu­ch von Staatspräs­ident und Außenminis­ter bei den beiden wichtigste­n Staaten Europas hat die Türkei versucht, ihre Beziehunge­n zum Kontinent nach langen Monaten des Streits und der Entfremdun­g auf eine neue Grundlage zu stellen. Die jüngsten Reisen von Recep Tayyip Erdogan nach Paris und Mevlüt Cavusoglu nach Goslar sollten aber nicht als Zeichen eines neuen EU-Strebens in Ankara missversta­nden werden.

Die Türkei verfolgt damit einzig innenpolit­ische Ziele.

Gut 15 Jahre nach seinem Machtantri­tt in der Türkei will der 63-jährige Erdogan die Weichen für eine Zukunft des Landes stellen, in der er selbst und nach seinem Ausscheide­n ein anderer islamisch-konservati­ver Politiker über die absolute Macht im Staat verfügt. Der Umbau der Türkei in eine Präsidialr­epublik soll bei der Präsidente­nwahl 2019 vollendet werden. Diesem Ziel ordnet er alles unter. Auch die Außenpolit­ik. Die wird jetzt nur noch „transaktio­nal“geführt, also nach dem Prinzip von Leistung und konkreter und unmittelba­rer Gegenleist­ung. Das hat weit reichende Konsequenz­en für das Verhältnis zu Europa, in dem es bisher prinzipiel­l um die Annäherung der Türkei an EU-Werte ging.

Daran hat Erdogan nach eigenen Worten kein Interesse mehr. Und folglich ist es für ihn auch egal, dass der Druck auf Opposition­elle und Medien mit der Inhaftieru­ng führender Politiker und Journalist­en den Normen Europas widerspric­ht.

Er sieht sich vielmehr von inneren und äußeren Feinden umringt – und die muss er zum Staatswohl bekämpfen. Die Treffen mit Sigmar Gabriel und Emmanuel Macron dienen in dieser Situation dann dazu, eine Isolierung der Türkei im Westen zu verhindern. Auch weil Erdogan im Südosten derzeit einen Konflikt mit syrischen Kurden anzettelt. Zudem ist er wegen des nahenden Wahlkampfe­s dringend an guten Geschäften mit Deutschlan­d und Frankreich interessie­rt.

„Transaktio­nal“ist auch die Haltung der Türkei bei Fällen wie dem des inhaftiert­en deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel.

Ein Austausch des Reporters gegen Gülen-Anhänger in Deutschlan­d kommt für die Bundesrepu­blik nicht in Frage. In anderen Bereichen ist ein Geben und Nehmen aber offenbar denkbar. Zuletzt hatte Bundesauße­nminister Gabriel eine Genehmigun­g für Rüstungsex­porte in die Türkei von Yücels Freilassun­g abhängig gemacht. Für diese kühle Realpoliti­k wird er zwar hart kritisiert – von Medien und Opposition. Undenkbar wäre ein solcher Deal aber nicht.

Sollten sich Berlin und Ankara in den kommenden Monaten auf – wie auch immer geartete – Kriterien für eine Haftentlas­sung Yücels einigen, wäre das durchaus der Beweis dafür, dass eine „transaktio­nale“Außenpolit­ik Ergebnisse liefern kann. Auch für Berlin. Dabei sollte die Bundesregi­erung aber nicht vergessen, dass für Erdogan auch immer die Rückkehr zu einer harten Linie sinnvoll erscheinen kann. Immer dann, wenn er sich davon einen größeren Nutzen verspricht. Die neue Ära der deutsch-türkischen Beziehunge­n wird von knallharte­r Interessen­politik geprägt – nicht von europäisch­en Werten.

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