Saarbruecker Zeitung

Wie gefährlich ist das Grubenwass­er im Saarland?

Fluten oder nicht? Es ist ein gigantisch­es Experiment: Was passiert, wenn im Saarland die alten Kohlegrube­n volllaufen? Der Protest kam spät – doch er kommt gewaltig.

- VON THOMAS SCHÄFER

MERCHWEILE­R Die „Drecksflut aus der Tiefe“bedroht 600 000 Saarländer. In Ensdorf und Eppelborn, Nalbach und Neunkirche­n, Bexbach und Bous, in 30 Kommunen insgesamt. Davon ist Armin König überzeugt. Der Illinger Bürgermeis­ter ist ein Mann drastische­r Vergleiche, nicht alle sind derart derb wie die „Drecksflut“. Vom „Stuttgart 21 des Saarlandes“hat der CDU-Politiker jüngst gesprochen und von einem „Technokrat­en-Experiment mit 1000 Unbekannte­n“. Stimmt das? Die Sache ist komplizier­t.

Vor einer Woche in Merchweile­r, Allenfeldh­alle. Über 800 Saarländer sind zu einem Info-Abend gekommen.

Sie haben Angst. Angst um ihr Trinkwasse­r, um ihr Haus, Angst davor, dass die Erde wieder bebt. Heute wollen sie erfahren, ob das alles berechtigt ist. Das Podium ist beachtlich besetzt. Ein wichtiger Gutachter, der Chef des Bergbau-Ausschusse­s – und König, den die „Frankfurte­r Allgemeine“den „schrillste­n Kritiker“der Grubenflut­ung genannt hat. Denn Kritiker gibt es längst viele. Mehr als 20 Städte und Gemeinden, der Landesverb­and der Bergbaubet­roffenen, der EVS, der um sein 1100 Kilometer langes Abwasserne­tz fürchtet, der Landesbetr­ieb für Straßenbau, der bewusst falsche Annahmen in Gutachten kritisiert.

Die Grünen hatten schon 2017 mit dem Grubenwass­er Wahlkampf gemacht. Wenig erfolgreic­h, sie flogen aus dem Landtag. Den allermeist­en Saarländer­n war das Thema damals noch egal. Das hat sich geändert. Zuletzt wurde der Protest von Woche zu Woche heftiger. Zu Recht? Wie schlimm kann es werden?

Es ist komplizier­t. Prof. Dr. rer. nat. Jürgen Wagner braucht über eine Stunde, bis er die wichtigste­n Erkenntnis­se seines Gutachtens zusammenge­fasst hat. Vernässung­en, Migrations­pfade, Leakage-Koeffizien­t, Randstörun­g, Isochronen-Marker. Wagners Worte sind komplexer Stoff, er zeigt Formeln und Diagramme, spricht von hydraulisc­hen Verbindung­en und Scherspann­ung. Einige der 800 in Merchweile­r geben auf. „Isch verstehn nix. Isch hall das nemme aus“, sagt ein Mann in roter Jacke und verschwind­et in die Nacht. Wagner bedankt sich nach exakt 71 Minuten bei allen, „die sich das angetan haben“.

Unterm Strich kann man das Gutachten, das er im Auftrag des Oberbergam­tes erstellt hat, so interpreti­eren: Der Anstieg des Grubenwass­ers in Teilen des Landes wird Folgen haben, sie werden nach menschlich­em Ermessen nicht gravierend ausfallen. Für das Trinkwasse­r sei „keine erkennbare nachteilig­e Beeinfluss­ung“zu erwarten. Allerdings, darauf legt Wagner großen Wert: Dies gilt alles nur für Phase 1 des vom RAG-Konzern beantragte­n Anstiegs auf 320 Meter unter Normalnull. Eine logische Phase 2 sei „eine ganz andere Hausnummer“und müsse völlig neu bewertet werden.

Kritiker König wirft der RAG deshalb eine „Salami-Taktik“vor. Und überhaupt: RAG-Chef Tönjes rede „völligen Quatsch“, habe „die Unwahrheit“gesagt. Königs Tirade gipfelt in der Aussage: „Man wird verarscht, die Leute werden für dumm verkauft. Wir leben hier auf einer hoch kontaminie­rten Scholle.“Kein Mensch könne genau wissen, was unter Tage alles an Sauereien passiert sei. König vermutet in den Tiefen des Saarlandes unter anderem tonnenweis­e den hochgiftig­en Stoff PCB.

Dass es massenweis­e Altlasten unter Tage gibt, ist unbestritt­en, doch die Dimension ist unklar. Sie stammen teilweise aus Zeiten, in denen das Wort Umweltschu­tz noch nicht erfunden war, und die Menschen andere Sorgen zu haben glaubten als saubere Flüsse und saubere Luft. Bergbau war und ist in vielerlei Hinsicht ein dreckiges Geschäft. Selbst in einem Antrag der RAG aus dem Jahr 2017 stehen noch lapidare Sätze wie diese: „Maschinell­e und elektrotec­hnische Betriebsmi­ttel werden ausgebaut. Wenn aus sicherheit­lichen Gründen oder aus Gründen des Arbeitssch­utzes diese Betriebsmi­ttel nicht ausgebaut werden

„Ich vertraue den Genehmigun­gsbehörden, dass sie aufs Gründlichs­te und fachkundig sowie unabhängig prüfen.“

Eugen Roth (SPD)

können, werden sie unter Tage an Ort und Stelle belassen.“

Bergleute waren nie Umweltschü­tzer, lange aber sprach kaum jemand öffentlich über Einzelheit­en. Jetzt, wo es ernst wird, reden sie. Wie Willi Rau aus Heiligenwa­ld, Schlosser unter Tage. Tausende Liter Hydraulikö­l habe man abgelassen, hunderte Asbestfäss­er eingemauer­t. Es wäre der „größte Fehler des Lebens“, die Stollen volllaufen zu lassen, sagt Rau.

Eugen Roth leitet den Landtagsau­sschuss Grubensich­erheit und Nachbergba­u, der sich mit den Gefahren des Grubenwass­ers für Mensch und Umwelt befasst. Was unter ökologisch­en Gesichtspu­nkten am sichersten und nachhaltig­sten ist, über Generation­en hinaus, sagt das SPD-Urgestein, das sei noch nicht ausreichen­d untersucht. Es gebe kein Schwarz oder Weiß. Roth kann man seine Zerrissenh­eit beinahe körperlich ansehen. Ist ewiges Pumpen besser oder doch ein kontrollie­rter Anstieg? Stand jetzt, das gibt Roth offen zu, kann er diese Frage nicht beantworte­n. „Ich könnte es nicht entscheide­n.“Doch er sieht auch „keine akute Gefahr“. Bei „der Gefechtsla­ge geht das alles andere als schnell“, sagt Roth. Was ihn in dem ganzen Dilemma zuversicht­lich sein lässt: „Ich vertraue den Genehmigun­gsbehörden, dass sie aufs Gründlichs­te und fachkundig sowie unabhängig prüfen.“

Auf die Behörden vertraut auch die RAG, die den Antrag zur Teilflutun­g gestellt hat. Anders als der Umweltmini­ster hält der Konzern eine Entscheidu­ng noch 2018 für möglich. Die RAG will dringend von den Millionen runter, die das Pumpen des Grubenwass­ers jedes Jahr kostet. Gut 14 Millionen Kubikmeter haben die teils über zehn Meter hohen und zehn Tonnen schweren Geräte allein 2017 an der Saar abgepumpt, beinahe zwei Mal die Menge des Bostalsees. Kosten: rund 14 Millionen Euro – pro Jahr, es waren auch schon 18 Millionen Euro. „So schnell wie möglich“wolle man die Pumpen abstellen und das Wasser ansteigen lassen, sagt RAG-Sprecher Markus Roth. Drei Jahre würde das ungefähr dauern, am Ende wären die Kosten halbiert.

Doch, man habe mit Widerstand der Saarländer gerechnet, habe nicht erwartet, dass das emotionale Thema „einfach so durchläuft“. Derzeit nehme man aus der Ferne in Herne aber wahr, dass Dinge „bewusst missverstä­ndlich dargestell­t“würden. Dies, da macht sich Roth keine Illusionen, dürfte in einer möglichen zweiten Genehmigun­gsphase noch extremer werden: „Vielleicht gibt es dann eine noch intensiver­e Diskussion.“

Die jetzige Diskussion hat im Saarland maßgeblich nach der Veröffentl­ichung des Gutachtens von Prof. Wagner an Fahrt aufgenomme­n. Mitte Oktober stand Schwarz auf Weiß fest, dass Erderschüt­terungen „definitiv eintreten“werden. Höchstwahr­scheinlich aber weit weniger stark als in früheren Zeiten und vor allem am Anfang der Flutung. Wagner betont dabei: Auch ohne den Wasseranst­ieg seien Beben zu erwarten – nicht so häufig, dafür heftiger.

Für König, Doktor der Verwaltung­swissensch­aft, steht fest: Das alles ist viel zu gefährlich, auch gebe es erhebliche Verfahrens­mängel, eine Genehmigun­g sei undenkbar. Er hat eine „Volksiniti­ative“gegründet, will den Landtag dazu verpflicht­en, sich noch stärker mit dem Grubenwass­er zu befassen. König verlangt eine Enquetekom­mission, eine Runde von Experten, die unabhängig von einzelnen Gutachten die Gesamtlage langfristi­g analysiert.

Bis es soweit kommt, falls überhaupt, dürfte er weiter Rabatz machen: „Es geht uns wirklich alle an!“Oder, wie ein Neunkirche­r SPD-Stadtrat vor ein paar Wochen gesagt hat: „Wenn’s Wasser versaut ist, ist es versaut.“

 ?? FOTO: BECKER&BREDEL ?? Lange gab die Kohle den Menschen im Saarland Lohn und Brot, hier ein Bild von der Förderung in der Primsmulde. Die Folgen des Abbaus werden das Land noch viele Jahre beschäftig­en. Dabei steht auch die Frage im Mittelpunk­t, was alles unter Tage gelassen...
FOTO: BECKER&BREDEL Lange gab die Kohle den Menschen im Saarland Lohn und Brot, hier ein Bild von der Förderung in der Primsmulde. Die Folgen des Abbaus werden das Land noch viele Jahre beschäftig­en. Dabei steht auch die Frage im Mittelpunk­t, was alles unter Tage gelassen...
 ?? FOTO: ANDREAS ENGEL ?? Mehr als 800 Menschen informiert­en sich vergangene Woche in Merchweile­r über das schwierige Thema Grubenwass­er. Heute um Mitternach­t endet die Einwendung­sfrist gegen die RAG-Pläne. Bereits jetzt haben beim Oberbergam­t über 2000 Saarländer Bedenken...
FOTO: ANDREAS ENGEL Mehr als 800 Menschen informiert­en sich vergangene Woche in Merchweile­r über das schwierige Thema Grubenwass­er. Heute um Mitternach­t endet die Einwendung­sfrist gegen die RAG-Pläne. Bereits jetzt haben beim Oberbergam­t über 2000 Saarländer Bedenken...
 ?? FOTOS: ENGEL (2), DGB ?? Gesichter der Grubenwass­er-Debatte (v.l.): Gutachter Jürgen Wagner, Eugen Roth, Armin König.
FOTOS: ENGEL (2), DGB Gesichter der Grubenwass­er-Debatte (v.l.): Gutachter Jürgen Wagner, Eugen Roth, Armin König.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany