Saarbruecker Zeitung

Astronaut Gerst startet erneut zur Raumstatio­n

Training für einen neuen Start zur Raumstatio­n ISS: Der Deutsche Alexander Gerst wird Anfang Juni die Mission „Horizons“als Crew-Chef leiten.

- Produktion dieser Seite: Thomas Schäfer, Oliver Schwambach Iris Neu-Michalik FOTOS OBEN: BECKER&BREDEL

Mit seinen Fotos aus dem All begeistert­e Alexander Gerst 2014 selbst Menschen, die sich sonst kaum für Raumfahrt interessie­ren. Im Juni startet „Astro-Alex“erneut zur Raumstatio­n ISS – diesmal wird er sogar Chef der Crew.

BERLIN/KÖLN (dpa) Zum ersten Mal wird ein deutscher Astronaut Kommandant der Internatio­nalen Raumstatio­n (ISS) sein. Anfang Juni soll Alexander Gerst mit einem russischen Sojus-Raumschiff für die Mission „Horizons“(Horizonte) zum Außenposte­n der Menschheit starten. Für die zweite Hälfte seines Aufenthalt­s bis zu seiner Rückkehr im November wird er für Crew und Station verantwort­lich sein. „Ich freue mich darauf, wieder zur ISS zurückzuke­hren“, sagte Gerst, der 2014 bereits sechs Monate Bordingeni­eur auf der Raumstatio­n war.

„Es fühlt sich an, als würde man zu einem Haus reisen, in dem man einmal viel Zeit verbracht hat“, so der 41-jährige Astronaut der Europäisch­en Weltraumag­entur (ESA). Als Kommandant wird „Astro-Alex“– so sein zum Spitznamen gewordenes Twitter-Kürzel – ein auf engem Raum zusammenle­bendes Team leiten. Mit an Bord sind beim Start von Sojus MS-09 eine US-Astronauti­n und der russische frühere Kampfpilot Sergej Prokopjew (42), der zum ersten Mal zur ISS fliegt. Es ist der 55. Besuch eines Sojus-Raumschiff­s an der ISS und der 161. Flug im Sojusprogr­amm. Jede Sojus wird neu gebaut und nur einmal verwendet. „Dieses Vehikel ist sehr sicher, es ist eines der zuverlässi­gsten, die je gebaut worden sind“, sagte Gerst. Kommandant der russischen Sojus ist – wie stets – der Russe im Team, Gerst sitzt diesmal aber anders als bei seinem ersten Flug als Copilot links von ihm und wird das Raumschiff zusammen mit ihm steuern.

Vor dem Einsatz stehen auch diesmal wieder gut zwei Jahre Training im Europäisch­en Astronaute­n-Zentrum EAC in Köln, im Sternenstä­dtchen bei Moskau und im Lyndon B. Johnson Space Center der Nasa in den USA an. Schon während dieser Zeit probt Gerst seinen Einsatz als Kommandant, koordinier­t Teile des Crew-Trainings und sorgt dafür, dass kein Crew-Mitglied überlastet wird.

Mental anstrengen­d seien vor allem die Trainingse­inheiten im Simulator für den Hin- und Rückflug mit der Sojus. „Die Trainer geben sich da richtig Mühe“, sagte Gerst. „Wir werden mit Armageddon-Szenarien bombardier­t, mit 15 Fehlern gleichzeit­ig, den schlimmste­n, die man sich vorstellen kann.“Es gebe aber immer einen Ausweg – der müsse eben nur gefunden werden. „Ich bin nur einmal gestorben im Simulator“, so Gerst. Schuld war in dem Fall ein Fehler im Simulatorp­rogramm. „Es sind kurz vor dem Andocken alle Triebwerke ausgefalle­n, nachdem vorher schon zehn Dinge ausgefalle­n waren. Dadurch sind wir ohne jegliche Steuerungs­möglichkei­t mit der ISS kollidiert.“

Prinzipiel­l falle alles einfacher, wenn man zum zweiten Mal fliege, erklärte Gerst. „Man ist sehr viel effiziente­r, denn man weiß schon, was wichtig ist und was nicht.“Auf der ISS selbst lasse sich leicht erkennen, wer schon mal da war und wer neu ist: „Alte Hasen schweben vertikal, Neulinge horizontal.“Seitlich durch die Station zu schweben sei viel angenehmer als mit dem Kopf voraus.

Bei den Einsätzen auf der ISS wird versucht, ein Erdarbeits­leben nachzustel­len: Sechs Tage lang wird gearbeitet – wobei für das zweieinhal­bstündige Sportprogr­amm und alltäglich­e Dinge wie Essen und Zähneputze­n schon viel Zeit verloren geht. Etwa eine Stunde täglich hat ein Astronaut für sich. Zeit dafür, mit der Familie zu telefonier­en, im – sehr langsamen – Internet zu surfen oder einfach mal aus dem Fenster zu gucken. Am Samstag ist Putztag auf der ISS. Die Sonntage sind frei.

Bei seiner ersten Mission „Blue Dot“(Blauer Punkt) im Jahr 2014 führte Gerst als Bordingeni­eur mehr als 100 Experiment­e durch. Auch diesmal werden wissenscha­ftliche Projekte einen Teil des Arbeitsall­tags ausmachen. Letztlich gebe es aber ähnliche Schwerpunk­te wie beim letzten Mal. Materialwi­ssenschaft­en, Robotik und Zellforsch­ung gehören dazu, wichtig sei zudem der Test eines neuen Lebenserha­ltungssyst­ems für künftige bemannte Weltraummi­ssionen.

Auch jedes ISS-Crewmitgli­ed selbst ist ein Versuchska­ninchen. Für Reisen in den Weltraum wird entscheide­nd sein, typische Probleme wie Muskelschw­und, Augenschäd­en und verringert­e Knochendic­hte in den Griff zu bekommen. Bekannt wurde kürzlich ein weiteres Problem: Der Körper von ISS-Astronaute­n wird etwa zweieinhal­b Monate lang stetig wärmer, bis er sich bei ungefähr 38 Grad einpegelt.

Gerst ist wichtig, dass es bei den ISS-Experiment­en auch um ein nachhaltig­eres Leben auf der Erde geht. „Ich dachte, der Weltraum sei ein besonderer Ort“, sagte er. „Was ich da oben gelernt habe, ist, dass er genau das Gegenteil davon ist: Es gibt zwar viele interessan­te Objekte dort draußen, die es sehr wert sind, von uns gründlich erforscht zu werden. Aber der gigantisch­e Rest des Weltraumes ist schwarz, öde und lebensfein­dlich. Der wirklich, wirklich besondere Ort darin, das ist unser einzigarti­ger blauer Heimatplan­et.“

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FOTO: GERST/DPA Sensatione­lle Fotos: Alexander Gerst nutzte 2014 auf der ISS eine digitale Standbildk­amera, um ein Foto seines Helmvisier­s zu machen. Im Visier sind Spiegelung­en verschiede­ner Komponente­n der Raumstatio­n zu sehen.
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FOTO: CARSTENSEN/DPA Kehrt als Kommandant auf die ISS zurück: Alexander Gerst.

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