Saarbruecker Zeitung

„Ich lehne das Etikett ‚Moslem’ ab“

Ein Todesurtei­l und etliche Morddrohun­gen: Eine iranische Aktivistin spricht über das Leben im Exil, über islamische Diktaturen und die aktuellen Proteste in ihrer Heimat.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE FATIMA ABBAS.

Frau Ahadi, Sie wurden im Iran zum Tode verurteilt. Wie kam es dazu?

AHADI Ich war sehr aktiv gegen das islamische Regime. Ich habe Untergrund­arbeit gemacht und Flugblätte­r verteilt. Es war zu einer Zeit, als Andersdenk­ende einfach auf der Straße festgenomm­en und hingericht­et wurden. Sie waren bei uns zu Hause in Tebriz und haben Schreibmas­chinen und Flugblätte­r gefunden. Daraufhin wurden fünf Gäste aus Kurdistan, denen wir Unterschlu­pf boten, hingericht­et. Ich war damals aktiver als mein Mann. Er wurde ebenfalls hingericht­et, ich habe mich in Teheran versteckt. Die Familie meines Ehemanns kam mich dort besuchen und sagte mir, dass mich das Regime suche und zum Tode verurteilt habe. Danach bin ich zunächst nach Kurdistan geflohen und dann nach Österreich.

Wie ist heute Ihre Beziehung zur Heimat?

AHADI Ich habe den Iran 1981 verlassen und bin dann 1990 nach Wien. Meine Familie habe ich schon seit fast 39 Jahren nicht gesehen. Alle haben Angst, mich zu kontaktier­en. Ich habe mich als Frau öffentlich gegen den Islam gewandt und das ist eine Todsünde. Meine Mutter lebt noch dort. Ich kann meine Familie aber nicht besuchen. Nachdem mich meine Mutter Anfang der 90er in Wien besucht hatte, wurde sie später im Iran festgenomm­en und verhört.

Und trotzdem fanden Sie den Mut, eine doch recht ungewöhnli­che Organisati­on zu gründen: den Zentralrat der Ex-Muslime. Der Name ist ein absoluter Tabubruch. Der Islam sieht keine Abtrünnige­n vor.

AHADI Genau. Den Zentralrat so zu nennen, war eine bewusste Entscheidu­ng. Es ist europa- und deutschlan­dweit ein Problem, dass man als Moslem einen Stempel aufgedrück­t bekommt. Wir sind plötzlich alle Moslems geworden. Ich hatte mal dem WDR ein Interview zum Thema Steinigung gegeben. In der Unterzeile stand über mich „muslimisch­e Frau“. Ein Skandal! Ich bin seit meinem 15. Lebensjahr Atheistin. Moslem zu sein ist keine Hauptident­ität. Wenn Alice Schwarzer interviewt wird, fragt auch niemand nach ihrer Religion. Man sagt, es gehe in Deutschlan­d um die Integratio­n von vier Millionen Muslimen. Aber wir sind doch keine Umma (Anm. der Redaktion: eine religiös fundierte Gemeinscha­ft der Muslime). Wir leben im 21. Jahrhunder­t. Menschsein ist die Hauptident­ität. Moslemsein als Label lehne ich ab.

Kann man in Deutschlan­d denn nicht ein freier Ex-Moslem sein?

AHADI Die Medien nehmen uns Ex-Moslems nicht ernst genug. Es ärgert mich, dass die Islamverbä­nde als unsere Vertretung gelten. Keiner hat sie gewählt. Sie vertreten höchstens fünf Prozent derer, die in Deutschlan­d als Moslems bezeichnet werden. Im Jahr 1970 gab es in Deutschlan­d die Bewegung „Wir haben abgetriebe­n“. Abtreibung war verboten, trotzdem hat man es gemacht. Wir sagen: „Wir haben abgeschwor­en.“Viele Menschen sind innerlich ausgetrete­n. Es gibt eine große Bewegung.

Eine Bewegung, die Sie für sehr wichtig halten. Warum?

AHADI Mit dem Islam kann man Menschen nicht integriere­n. Wenn wir islamische­n Verbänden Geld geben, dann unterstütz­en wir Menschen, die predigen, dass Frauen nicht sauber sind und dass Religion das einzig Wichtige ist. Das ist ein falscher Ansatz, das ganze Konzept ist falsch. Wir sprechen immer von verschiede­nen Kulturen, aber der Islam ist keine Kultur, sondern eine Religion wie alle anderen Religionen auch.

Warum ist das ein Problem?

AHADI Wir kritisiere­n alle Religionen. Es geht mir nicht darum, religiöse Menschen zu verteufeln. Es gibt auch nette Menschen, die religiös sind. Es geht mir um den politische­n Islam, es geht um politische Bewegungen in Afghanista­n und im Irak.

Oft hört man das Argument, Extremismu­s habe nichts mit dem „Islam an sich“zu tun...

AHADI Natürlich hat Islamismus etwas mit dem Islam zu tun. Wie kann man Ungläubige umbringen und Frauen misshandel­n? Wie kann man Homosexuel­le verfolgen? Der Islam bietet da eine gute Grundlage.

Die Vorsitzend­en der deutschen Islamverbä­nde dürften da laut widersprec­hen. Wie haben sie auf die Gründung Ihrer Organisati­on reagiert?

AHADI Als wir 2007 den Zentralrat der Ex-Muslime gegründet haben, haben die islamische­n Verbände alles beobachtet. Die Medien hatten verschiede­ne Vertreter von Verbänden, unter anderem uns, zu einer Gesprächsr­unde geladen. Doch der Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Muslime lehnte ein Gespräch mit mir ab. Es gab keine direkte Kommunikat­ion. Die Islamverbä­nde mauern. Von offizielle­r Seite hat niemand Kontakt zu uns aufgenomme­n. Doch kurz nach der Gründung haben wir Morddrohun­gen bekommen. Ich vermute, dass die Islamverbä­nde dahinter stecken. Kein normaler Mensch würde sonst auf die Idee kommen, so etwas zu tun.

Was unterschei­det Ex-Christen von Ex-Muslimen?

AHADI Einen Ex-Christen und einen Ex-Muslim sollte eigentlich nichts unterschei­den. Wir leben im 21. Jahrhunder­t. De facto ist da aber ein riesiger Unterschie­d: Wenn jemand öffentlich macht, dass er kein Muslim mehr sein will, dann erhält er Morddrohun­gen. Viele haben schon ihr Leben deswegen verloren. Das ist hochpoliti­sch. Der iranische Fotograf und Blogger Soheil Arabi wurde allein wegen einer „Beleidigun­g des Propheten“auf Facebook zum Tode verurteilt. Religion sollte nicht Erbsache sein. Es gibt weder einen kleinen Marx noch einen kleinen Moslem.

Ist der Islam reformierb­ar?

AHADI Man kann den Islam reformiere­n, aber das ist nicht unser Anliegen. Es ist dafür meiner Meinung nach ohnehin zu spät. Auch die Gründerin der liberalen Moschee in Berlin hat Morddrohun­gen bekommen. Der politische Islam ist eine gefährlich­e Bewegung. Der Koran ist widersprüc­hlich und bietet Extremiste­n viele Zitate, die sie verwenden können, um alle möglichen Taten zu rechtferti­gen. Wenn diese politische Bewegung zum Mord an Ex-Muslimen und zu Handlungen gegen Frauen aufruft und sie erniedrigt, dann muss man dagegen kämpfen.

Und das tun Sie vehement. Würde es nicht helfen, mit den Islamverbä­nden zusammenzu­arbeiten?

AHADI Nein, man kann nicht mit Vertretung­en von islamische­n Regimen oder mit der saudischen Regierung zusammenar­beiten. Es sollte eine kritische Auseinande­rsetzung geben dürfen. Islamverbä­nde haben Verbindung­en zu diktatoris­chen Regimen. Ditib ist mit Erdogan verbunden, Salafisten mit Saudi-Arabien. Ich kann nichts mit Organisati­onen anfangen, deren Vertretung Saudi-Arabien oder das islamische Regime im Iran ist.

Ist es nicht traurig, dass es den Zentralrat der Ex-Muslime überhaupt geben muss?

AHADI Ja, das ist traurig. Mit 16 habe ich aufgehört, zu beten. Das Abschwören von Religion sollte Privatsach­e sein. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wir sehen noch mehr Frauen mit Kopftuch, Kinder mit Kopftuch. Auch das steht im Zusammenha­ng mit Politik. Leider verteidige­n in Europa auch Linksorien­tierte und

Feministin­nen das Kopftuch. Sie haben uns nicht geholfen. Sie haben nichts verstanden.

Warum nicht?

AHADI Das Kopftuch ist im Iran sehr wichtig. In meinem Land heißt es: Entweder ihr tragt eins oder wir schlagen euch! Ich war mit 1000 Frauen in Teheran auf der Straße. Wir sagten: „Wir möchten kein Kopftuch!“Denn es ist nicht nur ein Stück Stoff. Es ist ein Teil unserer Geschichte. Wir haben im Iran mit dem Kopftuch unsere Rechte verloren.

Einige behaupten, es freiwillig zu tragen...

AHADI Ja, es gibt Frauen, die sagen: Ich habe mich selbst dafür entschiede­n. Aber wenn auch nur eine Frau auf dieser Welt das Kopftuch unfreiwill­ig trägt, dann müssen diejenigen, die es aus freien Stücken tun, wenigstens solidarisc­h sein. Ich bekomme E-Mails von Mädchen, die erzählen, dass sie sich umbringen wollen, weil ihr Mann oder ihr Vater sie zum Kopftuch zwingt. Das Kopftuch ist verbunden mit Zwang.

Wie so vieles für Frauen in islamische­n Ländern...

AHADI Meine Schwester lebt im Iran. Sie ist Ärztin und seit zehn Jahren von ihrem Mann getrennt. Aber sie sind immer noch nicht geschieden. Der Richter wollte nämlich von meiner Schwester den Grund für die Trennung erfahren. Sie sagte: „Ich liebe ihn nicht mehr.“Das ist im Iran kein Grund, sich scheiden zu lassen. Meine Schwester darf das Land nicht verlassen. Wenn sie fliegen möchte, dann muss ihr Mann beziehungs­weise Ex-Mann unterschre­iben.

Machen Ihnen die aktuellen Proteste in Ihrem Land Hoffnung?

AHADI Ich war bei einer Freundin in Schweden, als ich von den Protesten erfuhr. Wir haben uns natürlich sehr gefreut. Wir möchten das islamische Regime stürzen. Die Geschichte hat gezeigt, dass man Diktaturen per Revolution abschaffen kann.

Wie haben Sie die Proteste begleitet?

AHADI Ich habe sehr viele Interviews gegeben: Vor allem als ich in Stockholm war. Ich habe außerdem einen Aufruf gestartet, um auf die Verbrechen von Mahmoud Hashemi Shahroudi (Anm. der Redaktion: möglicher Nachfolger des geistigen Führers Ali Chamenei) aufmerksam zu machen. Er wurde ja kürzlich in einem deutschen Krankenhau­s in Hannover behandelt. Auch Volker Beck hat beklagt, dass wir einen Menschenre­chtsverbre­cher in Deutschlan­d pflegen. Ich habe meine Landsleute, die durch ihn Unrecht erfahren haben, gebeten, sich an mich zu wenden.

Während sich sein potenziell­er Nachfolger in Deutschlan­d behandeln lässt, behauptet der geistige Führer, Ali Chamenei, die Proteste seien eine Verschwöru­ng des Westens.

AHADI Ja, das ist typisch. Das iranische Regime hat schon immer so reagiert. Kritiker der Proteste sehen immer in Israel und in den USA die Schuld. Es ist einfach nur lächerlich.

Wird sich etwas bewegen?

AHADI Iran und Afghanista­n haben viel unter dem politische­n Islam gelitten. Meine Hoffnung ist, dass viele Menschen dagegenhal­ten. Im Iran gibt es eine große Bewegung von Arbeitern, von Studenten. Es ist eine säkulare Bewegung. Seit zwei Wochen sind Millionen Menschen auf der Straße mit dem Slogan „Nieder mit der Diktatur!“Frauen sind sehr aktiv. Sie laden auf Facebook Fotos ohne Kopftuch hoch. Es gibt eine Aktion in den sozialen Netzwerken, die „Mittwoch ohne Kopftuch“heißt und die sich auch jenseits des Internets im Iran verbreitet. Immer mehr Frauen gehen mittwochs unverschle­iert auf die Straße.

Ein Erwachen?

AHADI Heute sind iranische Frauen sehr emanzipier­t. Sex vor der Ehe ist verboten, aber sie machen es trotzdem. Die Menschen haben den Glauben verloren. Kein junger Mensch betet mehr. Wir erleben eine Renaissanc­e.

Und was sagen die Männer dazu?

AHADI Ich berate Männer und Frauen live im Internet oder per Audiobotsc­haft. Manchmal habe ich 400 Zuhörer, ich mache viel auf Persisch. Die Männer haben in unserem Land auch viel verloren. Musik ist verboten, es gibt keine freie Meinungsäu­ßerung, Männer und Frauen sitzen im Bus getrennt. Frauen müssen immer wieder zeigen, dass ihr Bruder oder ihr Mann auf sie aufpasst. Sehr viele Männer sind gegen Gewalt an Frauen. Viele fragen mich, was sie tun können. Das gibt mir Hoffnung.

Ist Deutschlan­d ein guter Ort für iranische Aktivisten?

AHADI Am 27. November haben wir unser zehnjährig­es Bestehen gefeiert. Wir können in Deutschlan­d mit fortschrit­tlichen Organisati­onen einiges bewegen. Auch hier gibt es noch viel zu tun. Deutschlan­d braucht mehr Säkularisi­erung. Kopftücher im Kindergart­en sind eindeutig Verletzung­en des Kinderrech­ts.

Die einen wollen mehr Säkularisi­erung, die anderen pochen auf Religionsf­reiheit. Was verstehen Sie unter Religionsf­reiheit?

AHADI Religionsf­reiheit bedeutet für mich auch die Freiheit zu entscheide­n, ob man einer Religion angehören möchte oder nicht. Oder ob man beten möchte oder nicht. Wenn eine Religion dafür sorgt, dass Frauen umgebracht werden, weil die Ehre der Familie verletzt wurde, dann will ich auch die Freiheit haben, mich von ihr abzuwenden. Rituale wie Kinderbesc­hneidung fallen für mich nicht unter Religionsf­reiheit. Man könnte sich ja dann immer darauf berufen, wenn man anderen Menschen wehtun möchte.

Werden Sie jemals wieder in ihr Land zurückkehr­en?

AHADI Ich habe Hoffnung.

„Religion sollte nicht Erbsache sein. Wir sagen: Wir haben abgeschwor­en.“

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FOTOS(2):AHADI Die Lebensfreu­de kann ihr niemand nehmen: Die Iranerin Mina Ahadi setzt sich seit Jahrzehnte­n für Menschenre­chte ein. Vor zehn Jahren gründete sie in Köln den „Zentralrat für Ex-Muslime“.
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Die iranische Menschenre­chtsaktivi­stin Mina Ahadi spricht bei der Demonstrat­ion gegen die sogenannte „Scharia-Polizei“in Wuppertal.

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