Saarbruecker Zeitung

Facebook will menschlich­er werden

Das soziale Netzwerk setzt künftig auf Beiträge von Freunden statt auf Firmen-Posts. Warum schneiden sich die Gründer ins eigene Fleisch?

- VON ANDREJ SOKOLOW Produktion dieser Seite: Thomas Schäfer Fatima Abbas

MENLO PARK (dpa) Mark Zuckerberg wirkte nie wie jemand, der an der weltverbes­sernden Rolle von Facebook zweifelt. „Unsere Mission ist es, die Welt offener und vernetzter zu machen“, wiederholt­e er gebetsmühl­enartig über Jahre. Und jetzt? Plötzlich bekommt man einen Mark Zuckerberg zu sehen, der sich um sein Vermächtni­s in den Augen seiner Töchter sorgt. „Es ist wichtig für mich, dass wenn Max und August aufwachsen, sie das Gefühl haben, dass das, was ihr Vater aufgebaut hat, gut für die Welt war“, sagte er der „New York Times“zu den anstehende­n Änderungen im Newsfeed, die Beiträge von Freunden und Familie in den Vordergrun­d bringen werden. Übersetzt heißt das: Facebook könnte nicht gut für die Welt sein, wenn man jetzt nicht handelt. Und dann wagt sich Zuckerberg auch gleich noch an den Newsfeed – das Herzstück des Online-Netzwerks. Dort findet das Facebook-Leben der über zwei Milliarden Mitglieder statt, dort werden Anzeige für Anzeige die Milliarden­gewinne geschöpft.

Mit den Änderungen werden es Beiträge von Unternehme­n, Medien und anderen Facebook-Seiten wie auch der von Parteien, schwierige­r als bisher haben, in den Nachrichte­nstrom zu kommen. Vereinfach­t gesagt, man bekommt eher das nächste Katzenvide­o zu sehen, wenn es die Tante geteilt hat oder Facebook-Bekannte darüber diskutiere­n. Sonst wird es im Newsfeed hinter Urlaubsfot­os und Unterhaltu­ngen unter Freunden geschoben – außer, man legt in den Einstellun­gen fest, dass man bestimmte Inhalte unbedingt oben sehen will. Das Frappieren­de: Die Änderungen werden dazu führen, dass Nutzer weniger Zeit bei Facebook verbringen, räumt Zuckerberg selbst ein. Bisher schien es darum zu gehen, dass die Leute länger bleiben.

Facebook buhlte um Marken, Medien, „Kreative“und „Influencer“und rief sie auf, ihre Inhalte zu Facebook zu bringen. Jetzt werden viele von ihnen, die sich zu sehr darauf verlassen haben, im Regen stehen. Und von Facebook können sie keinen Regenschir­m erwarten. „Es stimmt, dass die Verbreitun­g dieser Inhalte zurückgehe­n wird, und dies bedeutende Auswirkung­en für das Ökosystem haben wird“, sagt Facebook-Manager John Hegeman schlicht auf die Frage, ob sich das Online-Netzwerk auf eine Welle der Kritik einstellt und es Maßnahmen geben könnte, die den Schlag abmildern.

Weniger bei Facebook verbrachte Zeit bedeutet zugleich weniger Gelegenhei­t, auf Werbeanzei­gen zu klicken – also potenziell auch weniger Geld für Facebook. Außer natürlich, die Facebook-Seiten versuchen allesamt, sich über die Anzeigenpl­ätze doch noch in den Newsfeed reinzuquet­schen und treiben dadurch die Preise hoch. Die Zahl der Werbeslots wird aber nicht erhöht, stellt Facebook klar.

Es muss also schon akuten Handlungsb­edarf geben, wenn man statt der üblichen vorsichtig­en Tests mit dem Bulldozer aufräumt. Zuckerberg argumentie­rt mit den Wünschen der Nutzer – und Studien, die zeigten, dass der passive Konsum von Inhalten nicht gut für das Wohlbefind­en sei. Und Facebook fühle sich dafür verantwort­lich.

Der Analyst Brian Wieser von der Firma Pivotal Research verwies jetzt auf Zahlen des Marktforsc­hers Nielsen, wonach die Facebook-Nutzung zwei Monate in Folge auf Vorjahresn­iveau stagnierte. „Facebook spürt bereits Rückgänge bei der Nutzung und reagiert“, sagte Wieser dem Finanzdien­st Bloomberg. Facebook selbst muss die Alarmsigna­le viel früher mitbekomme­n haben: Schon seit dem Quartalsbe­richt im November wurde immer wieder eingeworfe­n, es gehe um für die Nutzer bedeutsame Interaktio­nen bei Facebook.

Wagt Zuckerberg einen radikalen Umbau und opfert einen Teil der Gewinne, um die Zukunft seines Lebenswerk­s zu sichern? Sagt ihm sein Gespür, dass sich die Menschen eher nach einem heimeligen Rückzugsor­t sehnen, statt auch bei Facebook mit Infos geflutet zu werden? Oder haben wir es mit einem geläuterte­n Gründer zu tun, dem die Schattense­iten seiner Erfindung unter die Haut gingen? Die nächsten Schritte werden das zeigen.

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FOTO: ESTÉVEZ/EFE/DPA Er gestaltet sein Netzwerk zu Lasten von Firmen um: Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.

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