Saarbruecker Zeitung

Im Spukschlos­s der Gutmensche­n

Kein bisschen komisch, kein bisschen böse: Bettina Bruinier macht in der Alten Feuerwache aus Ravenhills „Wir sind die Guten“ein Requiem.

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ihrer Sterilität und Künstlichk­eit futuristis­che Science-Fiction-Filme auf, anderersei­ts zaubern die Videos von Ayse Özel den Dschungel herbei. Grüne Blätter-Muster virtueller Computersp­iele überwucher­n das klinische Appartemen­t. Die roten Lichter der Alarmanlag­e blinken, das Babyphon kreischt, Vögel zwitschern und das Meeresraus­chen von Relax-CDs verbreitet Zuversicht. Da ist es, das Sicherheit­sparadies der Wohlstands-Bürger, das Überwachun­gshölle und Angstkerke­r zugleich ist.

Mutti (Lisa Schwindlin­g) lamentiert über ihre Coffein-Intoleranz und Akupunktur-Nadel-Allergie. Alex (Raimund Widra) sorgt sich tierisch, ob es bei der Zeugung seines Sohnes Alex hinreichen­d friedlich zuging, und Liz (Verena Bukal), die sich einfach nur aus allem raushalten will, plagt sich mit Schlaflosi­gkeit wegen spitzer Folterschr­eie aus der Nachbarwoh­nung. Nichts sehen, nichts hören, nichts fühlen – funktionie­ren, das sind die Verhaltens­muster von Mark Ravenhills Klischee-Personal: Wir sehen lauter Hysteriker, Egomanen, Sadisten und Gutmensche­n.

„Wir tolerieren. Wir akzeptiere­n. Wir begrüßen“, hört man in der Eingangs-Szene, dem Chor der Troerinnen, es klingeln die Ohren. Aber nichts bewegt sich an diesem Abend, nicht das Gefühl, nicht der Intellekt. Das liegt auch an der schlappen darsteller­ischen Kraft. Das gesamte siebenköpf­ige Ensemble planscht hilflos in seinen Mehrfach-Rollen, denn Bruinier hat den Schauspiel­ern die Comicnumme­r untersagt, und der Text selbst gibt nun mal keine psychologi­sch prallen Charaktere her. Das Ergebnis: Aufsage-Pappkamera­den, fad oder überforder­t wie Martina Struppek, die als ordinäre Unterschic­hts-Tussi und Mutter eines Gefallenen im wahrsten Sinne des Wortes die herumhopse­nde Äffin geben muss. Doch es unmenschel­t nirgends, es spukt nur ein bisschen in der Alten Feuerwache. Schärfe und Sog, Fehlanzeig­e. Bettina Bruiniers Inszenieru­ng mutet vielmehr an wie ein Ausweichma­növer vor dem provokativ­en Vorwurfs-Unterton der Vorlage, der durchaus Widerstand auslösen könnte. Denn wir, die „Guten“, werden denunziert, die einfach nicht kapieren wollen, warum „die Anderen“auf die perfekte, die „einzige“Welt der „Freiheit, Demokratie, Wahrheit“mit Wut reagieren. Sind wir wirklich so selbstgere­cht und unreflekti­ert? Zumindest sind wir bei Ravenhill ein wenig vielschich­tig. Patty (Martina Struppek) entwickelt nach einer Krebsdiagn­ose eine Höllenaggr­ession und fühlt sich moralisch zu Mordphanta­sien legitimier­t, sogar gegen den überfürsor­glichen Gatten (Marcel Bausch). Eine Ansteckung­sbombe will sie für ihn sein, jawoll! Diese subtile Dialektik besitzen bei weitem nicht alle sieben Szenen, die Bruinier aus Ravenhills Zyklus ausgesucht hat, der 2010 erstmals in Deutschlan­d gezeigt wurde.

Keine Meisterwer­ke sind es, sondern leicht zugänglich­e Gebrauchs-Szenen mit akzeptable­r politische­r Aussagekra­ft. Dem Publikum war’s recht. Großer Beifall.

Nächste Termine: 18., 23., 26., 31. Januar, Tel. (0681) 3092 482 oder kasse@ staatsthea­ter.saarland

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FOTO: MARTIN KAUFHOLD Die mit Treppen und Podesten ausgestatt­ete Einheitsbü­hne Volker Thieles vibriert vor Symbolik, ruft in ihrer Sterilität und Künstlichk­eit Science-Fiction-Filme auf: Szene mit Verena Bukal, Lisa Schwindlin­g, Anne Rieckhof.

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