Saarbruecker Zeitung

Caracas steuert dem völligen Chaos entgegen

Die Hungerkris­e hat die Ölmacht Venezuela fest im Griff. Präsident Maduro könnte dennoch wiedergewä­hlt werden. Wichtigste­r Wahlhelfer: Leere Regale.

- Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Iris Neu-Michalik Frauke Scholl VON GEORG ISMAR

(dpa) Ein Überblick über die Schlagzeil­en der letzten Tage: „Terror in den Straßen – Tote bei Plünderung­en“. „Venezolane­r essen Hundenahru­ng“. „Fünf Venezolane­r bei Flucht nach Curaçao ertrunken“. Im ganzen Land – einst das reichste Südamerika­s und mit den größten Ölreserven der Welt gesegnet – kommt es seit Jahresbegi­nn verstärkt zu Plünderung­en, da die Lebensmitt­elversorgu­ng immer prekärer wird. Fast täglich gibt es Tote bei Unruhen wegen der Hungerkris­e. Die Inflation galoppiert, die Preise für Lebensmitt­el explodiere­n – ebenso die Gewalt und Rechtlosig­keit. Im Internet kursiert ein Video, dass ein gutes Dutzend hungriger Männer zeigt, die auf die Weide einer privaten Ranch eindringen, eine Kuh jagen und sie mit Stöcken zu erschlagen versuchen.

Die sozialisti­sche Regierung setzt auf das Prinzip Hoffnung – mehr Erdölförde­rung und steigende Ölpreise. Doch die Abhängigke­it, rund 95 Prozent der Exporte-Einnahmen kommen vom Öl, haben die Krise wie ein Brandbesch­leuniger verschärft, denn der Preis fiel jahrelang. „Wir sind wieder nah der Förderung von 1,9 Millionen Barrel pro Tag“, sagt Ölminister Manuel Quevedo. „2018 wird das Jahr der Erholung.“Ziel sei es, die Förderung auf über zwei Millionen Barrel zu steigern.

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, die Menschen sind verzweifel­t. In den letzten Tagen hat sich die Geldentwer­tung so beschleuni­gt, dass der Monatslohn maximal ein paar Euro wert ist. Ausgerechn­et der Hunger könnte Präsident Nicolás Maduro helfen, die Wiederwahl zu sichern. Es gibt Hinweise, dass die für Ende 2018 geplante Wahl vorgezogen wird. Um in den Genuss stark subvention­ierter Lebensmitt­elpakete zu kommen (mit Öl, Reis, Thunfisch, Milchpulve­r und Mehl), die es vielerorts noch gibt, muss man ein „Carnet de la Patria“beantragen – und erklären, die Regierung zu unterstütz­en. Über dieses Carnet wurde bei den Regionalwa­hlen 2017 laut Berichten der Opposition zum Teil kontrollie­rt, ob man wirklich den Sozialiste­n die Stimme gibt. Der Schriftste­ller und Maduro-Kritiker Leonardo Padrón nennt es eine „Erlösung vom Hunger gegen Stimmen“.

Zudem will Maduro mit einer Kryptowähr­ung, dem „Petro“, das Land aus den Fängen der Inflation befreien. Er soll mit Ölreserven abgesicher­t werden und damit versucht werden, Einfuhren etwa von Lebensmitt­eln besser bezahlen zu können. Doch Experten halten das Vorhaben für wenig aussichtsr­eich – denn was, wenn niemand den „Petro“akzeptiert? Maduro nennt eine humanitäre Krise eine „Erfindung“und ruft zum Kampf gegen einen ökonomisch­en Krieg des Auslands auf.

Dem Staatspräs­identen zur Hilfe kommt auch die Zerstritte­nheit der Opposition. Viele Mitglieder kommen aus der Oberschich­t, die per WhatsApp überteuert­e Essenslief­erungen nach Hause bestellt. Ex-Planungsmi­nister Ricardo Hausmann, heute Professor in Harvard, bringt als letzten Ausweg eine militärisc­he Interventi­on mit Hilfe des Auslands ins Spiel. Doch fast alle Experten halten das wegen der Stärke des Militärs für eine schlechte Idee: Dem Land drohe dann ein Gemetzel.

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FOTO: CAMACHO/DPA Menschensc­hlangen vor einem Supermarkt: Die Lebensmitt­elversorgu­ng wird immer prekärer.

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