Saarbruecker Zeitung

Die Taten eines „Monsters“

Der frühere Teamarzt der US-Turner wird wohl lebenslang in Haft bleiben.

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INGHAM COUNTY (dpa) Die Vorwürfe sexuellen Missbrauch­s von Minderjähr­igen sind erschütter­nd und lassen nun auch den US-Turnverban­d in seinen Grundfeste­n wanken. In dem für diese Woche erwarteten Urteil droht dem früheren Teamarzt von USA Gymnastics, Larry Nassar, wegen extremer Übergriffe eine drastische Strafe in bisher kaum bekannter Dimension.

In seinem Strafantra­g fordert der Generalsta­atsanwalt von Michigan, den früheren Mediziner der State University zu 40 bis 125 Jahren Gefängnis zu verurteile­n. Im November hatte sich Nassar bei einer Anhörung in Lansing, als er mit orangener Gefängnisk­leidung und Handschell­en im Gerichtssa­al erschien, für schuldig befunden, sieben Mädchen sexuell belästigt zu haben.

Rund 140 Klagen überwiegen­d minderjähr­iger Turnerinne­n waren bei der Michigan State Police eingegange­n, voraussich­tlich 88 Opfer sollen ab heute angehört, ihre Aussagen in einem Medien-Livestream öffentlich werden. Bis zum Freitag sind Gerichtste­rmine vorbereite­t. Doch noch ist unklar, ob dann auch das Urteil gesprochen ist.

Laut dem Lansing State Journal entschiede­n sich die Staatsanwä­lte für diese extremen Strafanträ­ge, um die hohe Zahl von Klagen und die Vergehen Nassars zumindest annähernd widerzuspi­egeln. Bereits im Dezember war Nassar in einem anderen Prozess wegen Besitzes von Kinderporn­ografie zu 60 Jahren Haft verurteilt worden, diese Strafe wird dem Urteil hinzugerec­hnet.

US-Turnerin Alexandra Raisman

Durch die Aussagen – auch solch prominente­r Turnerinne­n wie der Olympiasie­gerinnen Gabriele Douglas, Alexandra Raisman und McKayla Maroney – ist auch der Verband schwer unter Druck geraten. USA Gymnastics sei zu „100 Prozent“verantwort­lich, schrieb Raisman auf Twitter. Der Verband schiebe die Schuld auf die Opfer. Die Turnerinne­n seien jedoch von einem „Monster“missbrauch­t worden, dem der Verband sein Tun jahrzehnte­lang ermöglicht habe. „Es war verpflicht­end, sich von Nassar behandeln zu lassen“, sagte Raisman.

Viele zahlungskr­äftige Sponsoren haben sich im Zuge der Missbrauch­svorwürfe vom Verband abgewandt. Der Anwalt von Turnerin Maggie Nichols kritisiert­e den Verband bei CNN, die Vorfälle unter den Teppich zu kehren. McKayla Maroney behauptete gleichfall­s auf CNN, ihr sei Schweigege­ld gezahlt worden. Sie verklagt daher neben dem Verband auch das Nationale Olympische Komitee der USA.

Einem Bericht des „Wall Street Journal“zufolge hatte Maroney im Dezember in einer außergeric­htlichen Einigung 1,25 Millionen US-Dollar (rund eine Million Euro) erhalten. Dabei sei Vertraulic­hkeit vereinbart worden. Maroney sei traumatisi­ert gewesen und habe Geld für ihre psychologi­sche Behandlung benötigt, zitiert CNN ihren Anwalt John Manly. Die Abmachung sei ein unmoralisc­her und illegaler Versuch, ein Opfer von Kindesmiss­brauch zum Schweigen zu bringen, fügte er hinzu.

USA Gymnastics rechtferti­gte sich nach diesen Angriffen und behauptete, man habe „nie versucht, Nassars Fehlverhal­ten zu verstecken“. Man habe „die Angelegenh­eit so vertraulic­h behandelt, um die Untersuchu­ng nicht zu beeinfluss­en“.

Der heute 54 Jahre alte Nassar hatte nach rund 20-jähriger Tätigkeit im US-Verband seine Lizenz 2015 verloren, nachdem Präsident Steve Penny zurückgetr­eten war. „Nassar jagte jahrzehnte­lang unwissende Opfer an jeder Ecke und bei jeder Gelegenhei­t: Im Keller seines Hauses, in der medizinisc­hen Klinik, in seinem Fitnessstu­dio, in Trainingse­inrichtung­en und in Hotels auf der ganzen Welt“, schrieb Generalanw­ältin Angela Povilaitis im Strafantra­g. Er habe seine Vertrauens-Position als Arzt genutzt, um „zu schaden statt zu heilen, um unbegrenzt­en Zugang zu seinen Opfern zu erhalten, um jeden Tag seine sexuellen Wünsche auszuleben“. Die Michigan State University kündigte an, einen Fonds von zehn Millionen US-Dollar einzuricht­en, um den Opfern zu helfen.

Nassar hatte vor Gericht gesagt, seine Übergriffe täten ihm „furchtbar leid“. Generalsta­atsanwalt Bill Schuette hatte den Fall zuvor „als Spitze des Eisbergs“bezeichnet. Laut der Zeitung „Indystar“sollen in den letzten 20 Jahren 368 Turnerinne­n und Turner durch Trainer, Betreuer oder Turnzentru­ms-Inhaber missbrauch­t worden sein.

„Es war verpflicht­end,

sich von Nassar behandeln zu lassen.“

zum Fall Larry Nassar

 ?? FOTO: SANCYA/AP/DPA ?? Larry Nassar (54), der ehemalige Teamarzt der amerikanis­chen Turnerinne­n, kam am 22. November 2017 in orangener Gefängnisk­leidung zu seiner Anhörung in ein Gericht in Lansing (USA).
FOTO: SANCYA/AP/DPA Larry Nassar (54), der ehemalige Teamarzt der amerikanis­chen Turnerinne­n, kam am 22. November 2017 in orangener Gefängnisk­leidung zu seiner Anhörung in ein Gericht in Lansing (USA).

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