Saarbruecker Zeitung

Wenn das Wildschwei­n in die Stadt kommt

Wildschwei­n, Marder und Co. sorgen oft für Ärger und Angst, wenn sie in Städten auftauchen. Im Saarland ist das Problem noch überschaub­ar.

- FOTO OBEN: DPA/DITTRICH

In deutschen Städten kommt es immer häufiger zu Sichtungen von Rehen, Füchsen und Wildschwei­nen. Das sorgt nicht überall für Freude: Viele Menschen ärgern sich über die tierischen Besucher oder haben Angst vor Zwischenfä­llen. Produktion dieser Seite:

Thomas Schäfer, Oliver Schwambach Frauke Scholl

(dpa/SZ) Schock in der Sparkasse: Ein wütender Keiler kommt krachend durch die Tür und dreht Runden im Kassenraum. Der Filialleit­er wird am Bein verletzt. Verängstig­te Kunden werden über Drehleiter­n in Sicherheit gebracht. Das dramatisch­e Geschehen in der holsteinis­chen Kreisstadt Heide macht weithin Schlagzeil­en. Nur wenige Wochen später toben am ersten Arbeitstag des Jahres 2018 zwei Keiler durch einen Supermarkt bei Karlsruhe – ehe sie mit ihrer Rotte im Wald verschwind­en. „Was war das denn?“, fragen sich dort verblüffte Kunden, die mit dem Schrecken davongekom­men sind.

Immer wieder sorgen Auftritte anscheinen­d furchtlose­r Wildtiere in Domänen der Menschen für Aufregung. Füchse auf Spielplätz­en in Berlin beäugen Kinder statt davonzulau­fen. Waschbären an Müllsäcken in Kassel sind selbst mit dem Besenstiel kaum zu vertreiben. Rehe in Stuttgarte­r Vororten beißen seelenruhi­g Rosenknosp­en ab. Auch in Saarbrücke­n sind Wildschwei­ne immer wieder zu Gast in Gärten, gerade in waldnahen Gebieten.

Zu größeren Zwischenfä­llen sei es im Saarland aber noch nicht gekommen, berichtet Detlef Reinhard, Jagdsprech­er des Naturschut­zbundes (Nabu) Saarland. Nicht so wie in Heide. Dort griff im Oktober 2017 ein Jäger zum Gewehr. „Schon der erste Schuss hat gesessen“, freute sich Bürgermeis­ter Ulf Stecher (CDU). Erlaubt war das nur, weil Menschenle­ben unmittelba­r in Gefahr waren.

Normalerwe­ise darf in Städten nicht gejagt werden. Das ist einer der Gründe, warum es immer mehr Wildtiere dorthin zieht, erläutert Reinhard. „Die Tiere wissen genau um die Vorteile in der Stadt.“Zudem gebe es für sie in urbanen Gebieten ein großes Nahrungsan­gebot, und es sei wärmer. Er rechnet damit, dass in Zukunft immer mehr Wildtiere in die Stadt vordringen: „Das Problem wird größer werden.“

Doch was tun, wenn immer mehr wilde Tiere die Städte bevölkern? Reinhard versteht, dass Menschen im Angesicht eines Wildschwei­ns Angst bekämen. Derk Ehlert, Wildtierex­perte in der Senatsverw­altung von Berlin, sagt, Ängste müssten immer ernst genommen werden. „Selbst wenn Anrufer nachts auf dem Ku‘damm partout einen Wolf gesehen haben, der in Wirklichke­it ein Collie ist.“Geduldige Aufklärung sei wichtig, damit ein Nebeneinan­der von Stadtmensc­hen und Wildtieren gelingt.

Reinhard rät beim Zusammentr­effen mit Wildschwei­nen dazu, ruhig zu bleiben und sich zurückzuzi­ehen. Zu einem Angriff komme es nur, wenn das Tier sich bedroht fühle. Auch von Füchsen gehe normalerwe­ise keine Gefahr aus: „Tollwut gibt es im Saarland seit Jahren nicht mehr.“Der Fuchs würde den Menschen bei einer Begegnung ohnehin ignorieren oder gleich flüchten. Lediglich beim Fuchsbandw­urm warnt er: Beeren sollten nicht ungewasche­n gegessen werden.

Größer als im Saarland sind die Probleme in Städten wie Berlin und Kassel. Letztgenan­nte gilt als die unangefoch­tene Hauptstadt der Waschbären. Nach Angaben der Umweltorga­nisation WWF leben dort rund 100 Tiere auf 100 Hektar – mehr als anderswo in Deutschlan­d.

Bundesweit werden jährlich Zehntausen­de von Waschbären erlegt. Doch das kann – ähnlich wie der Abschuss von rund 580 000 Wildschwei­nen pro Jahr – die steigende Population­en in Stadtgebie­ten kaum bremsen, sagt Mark Harthun, Experte beim Nabu Deutschlan­d. „Sie reproduzie­ren sich zu schnell.“Schädlich seien sie dort, wo sie Frösche und andere Amphibien sowie manche Vogelarten auszurotte­n drohen. Schuld sei letztlich der Mensch: „Waschbären wurden 1934 unweit von Kassel am Edersee ausgesetzt, weil man das Angebot an Tieren für die Jagd erweitern wollte.“

Eher gering sind laut Polizeiang­aben die Probleme mit Wildtieren in München. Allerdings klagen dort Anwohner des Stadtparks im Viertel Pasing über die streng geschützte­n Biber, die ihre Gärten unsicher machten.

Nicht alle Menschen fühlen sich indes von Wildtieren belästigt. Vielen Berlinern seien sie trotz aller Probleme willkommen, berichtet Experte Ehlert. So mancher sei stolz, dass sich – ähnlich wie in London – Füchse in der Öffentlich­keit sehen ließen, sogar im Garten vor dem Kanzleramt. Funktionie­ren könne eine Koexistenz auf Dauer aber nur, wenn es bei „respektvol­ler Distanz“bleibe.

„Die Tiere wissen genau um die Vorteile in der Stadt.“Detlef Reinhard Jagd sprecher des Naturschut­zbunds Saar

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FOTO: HELGE HOLMSON/DPA Jäger Uwe Ingwersen (l.) hat vor der Sparkasse im schleswig-holsteinis­chen Heide ein Wildschwei­n erlegt – eine Ausnahme: Das Tier zeigte sich aggressiv. Mit dabei: Stadtjäger Horst Allwardt.

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