Saarbruecker Zeitung

Automatisc­he Organspend­e ist kein Zwangssyst­em

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Man muss es sich nur mal vor Augen führen: weniger als zehn Organspend­er pro eine Million Einwohner. Konkret: Die rund 10 000 Schwerkran­ken, die derzeit in Deutschlan­d auf Hilfe warten, warten in den allermeist­en Fällen vergeblich. Und was tun wir dagegen? Wenn wir ehrlich sind: so gut wie nichts. Mit Sicherheit nicht aus Böswilligk­eit und auch nicht aus mangelnder Hilfsberei­tschaft. Organtrans­plantation ist nun mal kein Routineein­griff. Die große Mehrheit befasst sich erst mit dem Thema, wenn sie selbst oder jemand im Bekannten-oder Verwandten­kreis betroffen ist. Hinzu kommt: Wer in Deutschlan­d nach seinem Tod anderen Menschen seine Organe zur Verfügung stellen möchte, muss sich bewusst dafür entscheide­n. Was die Verfechter des aktuellen Systems als „Freiheit“anpreisen, ist in Wahrheit ein verheerend­er Zustand. Ein Zustand, der mit dafür sorgt, dass Deutschlan­d in Sachen Organspend­e zu den Schlusslic­htern Europas zählt. Deshalb ist es allerhöchs­te Zeit, sich am Spitzenrei­ter Spanien ein Beispiel zu nehmen und endlich eine Widerspruc­hslösung einzuführe­n. So würde jeder automatisc­h zum potenziell­en Organspend­er, es sei denn, er entscheide­t sich bewusst dagegen. Das ist Selbstbest­immung, die der gesamten Gesellscha­ft nützt. Halbherzig­e Ansätze wie die 2012 beschlosse­ne Befragung zur Bereitscha­ft sind wenig hilfreich. Mich persönlich hat noch nie jemand zu dem Thema befragt. Vielen anderen dürfte es ähnlich gehen.

Wieso sollte eine Widerspruc­hslösung „Misstrauen in die Transplant­ationsmedi­zin“schüren, wie ihre Kritiker meinen? Niemand würde gezwungen, seine Organe zu spenden. Wer das aus Glaubensgr­ünden oder sonstigen Überzeugun­gen ablehnt, kann ausdrückli­ch widersprec­hen. Das Argument des entmündigt­en Bürgers zieht hier nicht.

Das Beispiel Spanien zeigt, dass das Widerspruc­hssystem Leben rettet. Statt in Deutschlan­d Millionen für Werbekampa­gnen in den Sand zu setzen, sollte der Staat endlich eine effiziente und überfällig­e Regelung umsetzen. Und ja, die Zahl der Unfalltote­n sinkt. Auch deshalb sinkt die Zahl der Spender. Die Politik hat natürlich keinen Einfluss darauf, wie viele Menschen einen Hirntod erleiden. Was die Politik aber sehr wohl beeinfluss­en kann, ist, ob jeder, der in Frage käme, auch praktisch herangezog­en wird.

Die Idee des Transplant­ationsbeau­ftragten ist zwar gut gemeint, aber genau wie die Befragungs­lösung höchstens Stückwerk. Jemand, der Angehörige nach dem Tod eines geliebten Menschen auch noch mit der Organspend­efrage behelligen muss, hat keinen dankbaren Job. Der Wille des Verstorben­en muss bereits vor seinem Tod klar sein. Es ist nicht die Aufgabe meiner Angehörige­n, über meine Organe zu entscheide­n! Eine konsequent­e Widerspruc­hslösung könnte auch die Familie entlasten.

Organspend­e ist eine gesamtgese­llschaftli­che Verantwort­ung. Es geht um Solidaridä­t, um eine Art soziale Absicherun­g über den Tod hinaus. Die Kräfte des „freien Marktes“werden es nicht richten. Hier muss der Staat handeln.

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