Saarbruecker Zeitung

„Wir haben eine Verantwort­ung für Deutschlan­d und Europa“

Der ehemalige SPD-Chef rät seiner Partei zu Koalitions­verhandlun­gen mit der CDU. Mit Ratschläge­n für Martin Schulz hält er sich zurück.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE WERNER KOLHOFF

BERLIN Er war lange Zeit Ministerpr­äsident von Rheinland-Pfalz und von 2006 bis 2008 SPD-Vorsitzend­er. An diesem Sonntag wird Kurt Beck als Gast am SPD-Parteitag teilnehmen. Für das Sondierung­sergebnis hat er viel Lob übrig – auch wenn er Schwächen einräumt.

Herr Beck, soll der SPD-Parteitag Koalitions­verhandlun­gen mit der Union zustimmen oder nicht?

BECK Es spricht mehr dafür, in Koalitions­verhandlun­gen einzutrete­n, als Nein zu sagen. Ich sage das in Abwägung des bei den Sondierung­en Erreichten und vor dem Hintergrun­d der Verantwort­ung, die wir für Deutschlan­d und Europa haben.

Sagen Sie das auch aus Angst vor Neuwahlen?

BECK Nicht aus Angst vor Neuwahlen, sondern aus argumentat­iver Überzeugun­g.

Viele in der SPD sorgen sich, dass die Partei in einer erneuten großen Koalition ihr Profil vollends verlieren könnte.

BECK Vorsicht ist sicher geboten, dass es nicht so kommt. Aber ich bin überzeugt, dass man die Zukunftsde­batte in der Partei genauso gut führen kann, wenn man in der Regierung ist. Vielleicht sogar ein Stück besser. Denn Opposition jetzt würde natürlich auch bedeuten, dass sich vieles erst innerparte­ilich wieder zurechtrüt­teln muss, ehe man überhaupt wieder über Zukunftsth­emen diskutiere­n kann.

Was genau loben Sie am Sondierung­sergebnis?

BECK Da gibt es eine ganze Reihe von Punkten. Die paritätisc­he Finanzieru­ng der Sozialsyst­eme, insbesonde­re der Krankenver­sicherung, ist ganz entscheide­nd. Das ist die Rückkehr zu einem Grundprinz­ip der sozialen Marktwirts­chaft. Dann die Rente. Eine Absicherun­g des Rentennive­aus auf 48 Prozent und eine Grundrente deutlich über der Grundsiche­rung, das sind sehr, sehr wertvolle Entscheidu­ngen. Die Pflege und die Ganztagssc­hulbetreuu­ng gehören ebenfalls zu den Fortschrit­ten.

Andere betrachten das halb leere Glas: Die Bürgervers­icherung und das Ende der sachgrundl­osen Befristung von Arbeitsver­trägen fehlen.

BECK Das sehe ich auch und bedauere es. Aber man darf nicht glauben, dass man mit 20 Prozent und mit einer Union, in der einige ja sogar eine konservati­ve Revolution wollten, all das erreichbar gewesen wäre. Unter dem Strich spricht mehr Positives für weitere Verhandlun­gen als Negatives dafür, jetzt Schluss zu machen.

Hat die Parteiführ­ung seit dem Freitag denn glücklich agiert mit dem Verweis auf mögliche Nachverhan­dlungen?

BECK In dem Sondierung­spapier steht vieles, aber vieles steht auch nicht drin. Wenn Sie das Beispiel Bürgervers­icherung nehmen: Die haben wir in den Sondierung­en dem Grunde nach in der Tat nicht erreicht. Aber über die Frage noch mal zu reden, wie man einen gleichwert­igen, fairen Zugang zur medizinisc­hen Versorgung und eine saubere Finanzieru­ng der ärztlichen Leistungen hinkriegt, das muss ja wohl möglich sein.

Würde es bei der Abstimmung am Sonntag helfen, wenn Martin Schulz klar auf Ministeram­bitionen verzichten würde?

BECK Das muss Martin Schulz für sich entscheide­n. Ich halte es mit Johannes Rau, der gesagt hat, öffentlich­e Ratschläge sind auch nur Schläge.

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FOTO: FISCHER/DPA Kurt Beck, ehemaliger Vorsitzend­er der SPD

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