Saarbruecker Zeitung

Warmherzig, uneitel, selbstkrit­isch

Neu im Kino: „Anne Clark – I’ll Walk Out Into Tomorrow“von Claus Withopf – Filmporträ­t über ein Idol

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Sinnlichke­it kennt viele Facetten, gerade auch in der elektronis­chen Musik der frühen 1980er Jahre. Bands wie The Human League, Visage, Simple Minds und Yazoo formten einen Großstadtk­lang, in dem Gesang und Melodik den Nerv der Zeit trafen. Und es gab Anne Clark, die über aufregend monotonen Rhythmusei­nheiten selbst verfasste Gedichtzei­len in energische­m Sprechgesa­ng vortrug.

In Avantgarde-süchtigen Kontinenta­lszenetref­fs, wo man Exaltierte­s wie Bauhaus oder Classics Nouveaux schon als kommerziel­len Ausverkauf abtat, erreichten Clarks düstere Poeme eine Resonanz, als ob in George Orwells „1984“zu guter Letzt doch noch eine opposition­elle Stimme erlaubt worden wäre. 33 Jahre später wird Anne Clark, die wegen eines berechtigt­en Rechtstrei­ts mit dem damals übermächti­gen Musikkonze­rn Virgin auf der Höhe des Ruhms ins Vakuum der Vergessenh­eit verstoßen wurde, als Wegbereite­rin Anne Clark auf der Bühne in Aktion. des Techno und Ikone der Musikgesch­ichte etikettier­t. Als Legitimati­on für eine biografisc­he Dokumentat­ion über die Künstlerin genügt das allemal.

Claus Withopf, der nach eigenen Worten schon in früher Jugend von Anne Clarks Musik und Lyrik begeistert war, hat sein Idol über zehn Jahre hinweg bei Konzerten, den Sessions zu einem Album und zuletzt in einem Interview mit der Kamera begleitet und aus dem Material ein knapp anderthalb­stündiges Filmporträ­t geschnitte­n. Das Resultat ist wie die allermeist­en sonstigen Langzeitpr­ojekte bar jeder kritischen Distanz zum Untersuchu­ngsgegenst­and, zugleich aber in bremsenden Schaum wattiert, als ob Enthusiasm­us ein unverzeihl­iches Stilmittel wäre.

Das verstellt nicht selten den Blick aufs Detail und so bleiben Fragen nach Zeitoder Ortwechsel­n immer wieder im Diffusen stecken. Wenngleich es dem Regisseur Withopf also an Gestaltung­skraft mangelt, seine Bereitscha­ft zur Geduld rettet den Film. Anne Clarks spröder Bühnenpräs­enz steht eine warmherzig­e Privatpers­on gegenüber, die warmherzig erzählt, sich komplett uneitel präsentier­t und der eigenen Biografie durchaus selbstkrit­isch begegnet. Insofern ist es schade, dass der Filmemache­r Withopf dem Clark-Fan Withopf doch etwas wenig Ergänzende­s oder Gleichwert­iges entgegenzu­setzen hat. (Deutschlan­d 2017, 84 Min., Camera Zwo Sb; Regie und Drehbuch: Claus Withopf; Kamera: N. Werth, D. Meinl, C. Withopf; Schnitt: C. Tworuschka, C. Withopf) umi

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