Saarbruecker Zeitung

„Erst kommt der Film und seine Wahrheit“

Die Schweizer Regisseuri­n Lisa Brühlmann über ihr Spielfilmd­ebüt „Blue my mind“im Wettbewerb, Pubertät und die #MeToo-Debatte.

-

Die Pubertät macht aus dem Jungmädche­nkörper, so scheint es, was sie will. Und das Mädchen tut nahezu alles, um hineinzupa­ssen in ein neues Umfeld, eine neue Klasse – aber am Ende steht ihr eine völlig neue Welt offen. Welche, sei hier nicht verraten (für jene, die den Film bei Ophüls doch noch nicht gesehen haben). „Ohne den Inhalt vorher zu kennen, ist es einfach ein anderes Seherlebni­s“, sagt Brühlmann. Nach dem Kinostart in der Schweiz hätten sich die Filmjourna­listen gegenseiti­g überboten, den Grund und die Art von Mias Verwandlun­g herauszust­ellen. „Das fanden wir sehr schade für die Zuschauer.“

So traumatisc­h wie Mias Pubertät war die von Brühlmann überhaupt nicht, sagt sie, auch wenn sie in ihrem Drehbuch die Figur auflud „mit Erlebnisse­n und Gefühlen, die ich damals hatte“. Einige der Figuren sind stark autobiogra­fisch; eine Freundin Mias etwa sei als Figur zusammenge­setzt aus drei Freundinne­n, die Brühlmann damals hatte. Den Film in Hochdeutsc­h zu drehen, um ihn im deutschspr­achigen Raum leichter zeigen zu können, kam für Brühlmann nicht in Frage. „Ich komme aus Zürich, wollte dort drehen, in meiner Mutterspra­che – alles andere wäre für mich unrealisti­sch. Erst kommt der Film und seine Wahrheit. Erst danach wollte ich überlegen, wem er gefallen könnte.“

Im Januar 2013 begann sie mit dem Schreiben, im Sommer 2016 wurde gedreht. Es war weniger die Drehbuchar­beit, die lange dauerte: Zwischendu­rch machte Brühlmann, die vom Schauspiel kommt, einen Masterstud­iengang in Filmregie an der Zürcher Hochschule der Künste, drehte zwei 20-Minüter-Kurzfilme und brachte ein Kind zur Welt.

In nahezu jedem Filmbild ist Luna Wendler als Mia zu sehen, in einer sagenhaft feinnervig­en und furchtlose­n Darstellun­g. Bei den Dreharbeit­en war sie 16 Jahre alt; in der Schweiz gibt es, was etwas überrascht, weniger strenge Regeln, was die Filmarbeit mit Kindern und Jugendlich­en angeht als in Deutschlan­d, wie Brühlmann erzählt. „Aber wir haben ohnehin drauf geschaut, dass die ganze Crew keine Überstunde­n macht – immerhin bloß eine hatten wir bei 34 Drehtagen.“

Eine Szene am Ende des Films ist vergleichs­weise drastisch, um sexuelles Ausnutzen geht es, eine letzte Erniedrigu­ng vor der Verwandlun­g. Wie dreht man so etwas, egal ob die Darsteller­in nun 16 Jahre alt ist oder älter? „Das ist eine Frage der Filmmontag­e“, sagt Brühlmann, „die Schauspiel­erin hat, um es genau zu sagen, keinen Penis gesehen. Die Szene haben wir beim Casting schon intensiv besprochen, sie ist zentral für die Geschichte – und irgendwie haben wir sie hinter uns gebracht.“

Das System der sexuellen Ausbeutung in der Filmszene, das in der #MeToo-Debatte nun teilweise offengeleg­t wird, hat sie bei ihrer Filmoder Fernseharb­eit nicht erlebt, sagt Brühlmann, davor aber schon: „In der Schauspiel­schule gab es einen Dozenten, der immer mit Studentinn­en anbandelte und ihnen bessere Bewertunge­n oder Privatunte­rricht gab. Ich war da nicht beteiligt, aber es gab Mädchen, die dachten, die müssen das machen. Ich hoffe und glaube, dass sich jetzt aber etwas ändert.“

Ihre Zukunft sieht Brühlmann, Jahrgang 1981, in der Regie, weniger im Schauspiel. „Man ist das, was man macht, nicht das, was man mal studiert hat. Die Regie füllt jetzt mein Leben aus.“Ihr Film hat noch einen keinen deutschen Verleih, aber er wurde schon nach Amerika, Kanada, Frankreich verkauft – und als erstes nach Taiwan. Hat sie das überrascht? „Mich hat es vor allem gefreut.“

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Die Züricher Regisseuri­n und Autorin Lisa Brühlmann im Saarbrücke­r Cinestar.
FOTO: OLIVER DIETZE Die Züricher Regisseuri­n und Autorin Lisa Brühlmann im Saarbrücke­r Cinestar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany