Stille zwischen Grachten und Giebeln
Im Winter entfaltet Brügge seine verträumte Schönheit. Dann kommen Kenner in die mittelalterliche Metropole, die mit ihrem historischen Erbe glänzt.
BRÜGGE Ein Sonntagmorgen in Brügge: Laut hallen die Schritte auf dem Pflaster von den schlanken Giebeln wider. Nur dann und wann ein eiliger Passant, der sich im Gewirr der schmalen Gassen verliert. Von der nahen Nordsee bläst eine frische Brise über den Burgplatz, dem Herz des mittelalterlichen Brügge. Und vom schlanken Belfried, dem Wahrzeichen der Stadt aus dem 15. Jahrhundert, wehen die hellen Töne des Glockenspieles über Grachten und Giebel.
Sonntagmorgen in Brügge, in diesen Winterwochen: Dann fehlen die vielen Fremden, die zwischen Ostern und Oktober die Straßen bevölkern und sich auf dem Markt und dem Burgplatz drängeln. Mehr als fünf Millionen Tagesbesucher sollen es nach vorsichtigen Schätzungen sein – Brügge ächzt dann unter dem Ansturm der Fremden. Sie kommen mit Autos aus aller Herren Länder. Gruppenweise tauchen diese Touristen ein paar Stunden ins tiefe Mittelalter ein und posieren für Selfies vor der historischen Kulisse.
Im Winter ist es dagegen still im „Venedig des Nordens“, wie Brügge wegen seiner Grachten auch genannt wird. Die meisten Souvenirläden und Biershops haben geschlossen, die kleinen Rundfahrtboote liegen fest vertäut an den Anlegestegen. Nur hin und wieder, zur Mittagszeit, wenn die Sonne wärmende Strahlen schickt, tuckert einer der kleinen Kähne mit Touristen los. Und die wenigen Besucher genießen das stille Glück, vom Wasser aus den Einheimischen beim Leben und Treiben zuzuschauen. Über allem wacht der Belfried, 83 Meter hoch, der wichtigste Turm der Stadt. Genau 366 Stufen führen zur Aussichtsplattform mit der atemberaubenden Aussicht auf Grachten und Giebel sowie das grüne Bauernland ringsum.
Zum Aufwärmen hinterher bietet sich eines der zahlreichen Museen an: Das Groeninge-Museum am Dijver mit der bedeutenden Sammlung aus fünf Jahrhunderten flämischer Malerei, Renaissance- und Barockmeistern, bis hin zur Moderne. Nebenan bietet das Gruuthusemuseum im ehemaligen Palais der Herren von Gruuthuse eine Übersicht über kunsthandwerkliche Arbeiten des späten Mittelalters, Wandteppiche, Möbel, Silberarbeiten und Keramik. Nur ein paar Schritte weiter thront die Liebfrauenkirche aus dem 13. Jahrhundert: Michelangelos Madonna mit dem Kind aus weißem Marmor, eine Darstellung von seltener Harmonie und Schönheit. Tagelang können Kunstinteressierte durch Brügges Kirchen und 30 Museen streifen, sich dabei in das 15. und 16. Jahrhundert zurückversetzt fühlen.
Unermesslich reich war die Hansestadt mit ihren 150 000 Bewohnern durch den internationalen Handel. Der mittelalterliche Stadtkern blieb bis heute nahezu vollständig erhalten, seit der Jahrtausendwende zählt das Zentrum zum Unesco-Weltkulturerbe. Darüber hinaus war Brügge im Jahr 2002 europäische Kulturhauptstadt. Handelshäuser und Höfe aus dem Mittelalter künden auch heute noch vom Glanz jener Zeiten. In den Sträßen Spinolarei, Biskajersplein und Spanjaardstraat standen einst die Handelshäuser reicher Venezianer und Spanier: Sie handelten mit Tuch aus Flandern, dazu mit Spezereien und Häuten.
Bereits im 12. Jahrhundert wurde Brügges Reichtum an Bau- und Kunstwerken begründet: Damals erlangte die Stadt europäische Bedeutung: Schwerbeladene Segelschiffe fuhren mit ihren Frachten von der Nordsee kommend über den zwölf Kilometer langen Meeresarm Zwin bis an die Kais in der Stadt. Bis zu 150 sollen es der Überlieferung nach an manchen Tagen gewesen sein. Später versandete das Gewässer; die beiden Städte Sluis und Damme, noch heute über Kanäle verbunden, wurden vorübergehend zu Vorhäfen der Handelsmetropole. Heute ist auch dieses Kapitel längst abgeschlossen: Zeebrügge wurde in den vergangenen 30 Jahren zum Hafen für die Containerschifffahrt und die Autoverladung.
Immer weiter fressen sich die Hafenanlagen mit turmhohen Verladebrücken in das plattgrüne Polderland hinein und bedrohen bereits kleine Ortschaften wie etwa Zankendamme und Lissewege. Im Mittelalter weiteten sich die Beziehungen Brügges bereits bis nach Osteuropa aus. 1478 bauten die Oosterlinge („Östlinge“) am Osterlingenplein ihr eigenes Handelskontor. Heute sagen die alten Namen der Strassen, Kais und Plätze den flüchtigen Besuchern Brügges nur wenig. So verirren sich denn auch nur wenige Reisende bei einem Stadtspaziergang in das Quartier der stattlichen Handelsbüros und Lagerhäuser nordöstlich von Burgplatz und Markt.
Bekannter ist der Beginenhof aus dem Jahr 1245, winterstill mit den kahlen Pappeln. Auch hier gibt es ein Museum, das vom Leben der frommen Beginen berichtet und hinüberleitet zu den heutigen Bewohnerinnen, den Schwestern des Benediktinerinnen-Ordens.
Früh fällt die Dunkelheit über die Gassen und Plätze. Die Reisenden haben wahrscheinlich längst eines der zahlreichen Bistros und Restaurants aufgesucht, wo neben Deftigem aus der flämischen Küche auch klassische Speisen aus Frankreich serviert werden. Eine genaue Suche, etwa im Internet, ist hier angebracht – so manches Restaurant entpuppt sich als üble Touristenfalle. Als Faustregel mag gelten: Je näher an Markt und Burgplatz, desto höher die Preise.