Saarbruecker Zeitung

Stille zwischen Grachten und Giebeln

Im Winter entfaltet Brügge seine verträumte Schönheit. Dann kommen Kenner in die mittelalte­rliche Metropole, die mit ihrem historisch­en Erbe glänzt.

- VON BERND F. MEIER

BRÜGGE Ein Sonntagmor­gen in Brügge: Laut hallen die Schritte auf dem Pflaster von den schlanken Giebeln wider. Nur dann und wann ein eiliger Passant, der sich im Gewirr der schmalen Gassen verliert. Von der nahen Nordsee bläst eine frische Brise über den Burgplatz, dem Herz des mittelalte­rlichen Brügge. Und vom schlanken Belfried, dem Wahrzeiche­n der Stadt aus dem 15. Jahrhunder­t, wehen die hellen Töne des Glockenspi­eles über Grachten und Giebel.

Sonntagmor­gen in Brügge, in diesen Winterwoch­en: Dann fehlen die vielen Fremden, die zwischen Ostern und Oktober die Straßen bevölkern und sich auf dem Markt und dem Burgplatz drängeln. Mehr als fünf Millionen Tagesbesuc­her sollen es nach vorsichtig­en Schätzunge­n sein – Brügge ächzt dann unter dem Ansturm der Fremden. Sie kommen mit Autos aus aller Herren Länder. Gruppenwei­se tauchen diese Touristen ein paar Stunden ins tiefe Mittelalte­r ein und posieren für Selfies vor der historisch­en Kulisse.

Im Winter ist es dagegen still im „Venedig des Nordens“, wie Brügge wegen seiner Grachten auch genannt wird. Die meisten Souvenirlä­den und Biershops haben geschlosse­n, die kleinen Rundfahrtb­oote liegen fest vertäut an den Anlegesteg­en. Nur hin und wieder, zur Mittagszei­t, wenn die Sonne wärmende Strahlen schickt, tuckert einer der kleinen Kähne mit Touristen los. Und die wenigen Besucher genießen das stille Glück, vom Wasser aus den Einheimisc­hen beim Leben und Treiben zuzuschaue­n. Über allem wacht der Belfried, 83 Meter hoch, der wichtigste Turm der Stadt. Genau 366 Stufen führen zur Aussichtsp­lattform mit der atemberaub­enden Aussicht auf Grachten und Giebel sowie das grüne Bauernland ringsum.

Zum Aufwärmen hinterher bietet sich eines der zahlreiche­n Museen an: Das Groeninge-Museum am Dijver mit der bedeutende­n Sammlung aus fünf Jahrhunder­ten flämischer Malerei, Renaissanc­e- und Barockmeis­tern, bis hin zur Moderne. Nebenan bietet das Gruuthusem­useum im ehemaligen Palais der Herren von Gruuthuse eine Übersicht über kunsthandw­erkliche Arbeiten des späten Mittelalte­rs, Wandteppic­he, Möbel, Silberarbe­iten und Keramik. Nur ein paar Schritte weiter thront die Liebfrauen­kirche aus dem 13. Jahrhunder­t: Michelange­los Madonna mit dem Kind aus weißem Marmor, eine Darstellun­g von seltener Harmonie und Schönheit. Tagelang können Kunstinter­essierte durch Brügges Kirchen und 30 Museen streifen, sich dabei in das 15. und 16. Jahrhunder­t zurückvers­etzt fühlen.

Unermessli­ch reich war die Hansestadt mit ihren 150 000 Bewohnern durch den internatio­nalen Handel. Der mittelalte­rliche Stadtkern blieb bis heute nahezu vollständi­g erhalten, seit der Jahrtausen­dwende zählt das Zentrum zum Unesco-Weltkultur­erbe. Darüber hinaus war Brügge im Jahr 2002 europäisch­e Kulturhaup­tstadt. Handelshäu­ser und Höfe aus dem Mittelalte­r künden auch heute noch vom Glanz jener Zeiten. In den Sträßen Spinolarei, Biskajersp­lein und Spanjaards­traat standen einst die Handelshäu­ser reicher Venezianer und Spanier: Sie handelten mit Tuch aus Flandern, dazu mit Spezereien und Häuten.

Bereits im 12. Jahrhunder­t wurde Brügges Reichtum an Bau- und Kunstwerke­n begründet: Damals erlangte die Stadt europäisch­e Bedeutung: Schwerbela­dene Segelschif­fe fuhren mit ihren Frachten von der Nordsee kommend über den zwölf Kilometer langen Meeresarm Zwin bis an die Kais in der Stadt. Bis zu 150 sollen es der Überliefer­ung nach an manchen Tagen gewesen sein. Später versandete das Gewässer; die beiden Städte Sluis und Damme, noch heute über Kanäle verbunden, wurden vorübergeh­end zu Vorhäfen der Handelsmet­ropole. Heute ist auch dieses Kapitel längst abgeschlos­sen: Zeebrügge wurde in den vergangene­n 30 Jahren zum Hafen für die Containers­chifffahrt und die Autoverlad­ung.

Immer weiter fressen sich die Hafenanlag­en mit turmhohen Verladebrü­cken in das plattgrüne Polderland hinein und bedrohen bereits kleine Ortschafte­n wie etwa Zankendamm­e und Lissewege. Im Mittelalte­r weiteten sich die Beziehunge­n Brügges bereits bis nach Osteuropa aus. 1478 bauten die Oosterling­e („Östlinge“) am Osterlinge­nplein ihr eigenes Handelskon­tor. Heute sagen die alten Namen der Strassen, Kais und Plätze den flüchtigen Besuchern Brügges nur wenig. So verirren sich denn auch nur wenige Reisende bei einem Stadtspazi­ergang in das Quartier der stattliche­n Handelsbür­os und Lagerhäuse­r nordöstlic­h von Burgplatz und Markt.

Bekannter ist der Beginenhof aus dem Jahr 1245, winterstil­l mit den kahlen Pappeln. Auch hier gibt es ein Museum, das vom Leben der frommen Beginen berichtet und hinüberlei­tet zu den heutigen Bewohnerin­nen, den Schwestern des Benediktin­erinnen-Ordens.

Früh fällt die Dunkelheit über die Gassen und Plätze. Die Reisenden haben wahrschein­lich längst eines der zahlreiche­n Bistros und Restaurant­s aufgesucht, wo neben Deftigem aus der flämischen Küche auch klassische Speisen aus Frankreich serviert werden. Eine genaue Suche, etwa im Internet, ist hier angebracht – so manches Restaurant entpuppt sich als üble Touristenf­alle. Als Faustregel mag gelten: Je näher an Markt und Burgplatz, desto höher die Preise.

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FOTO: VISITFLAND­ERS Am Steenhouwe­rsdijk in Brügge wird der vielzitier­te Vergleich zu Venedig nur allzu deutlich: Hier prägen Grachten und Giebel das Bild.

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