Saarbruecker Zeitung

Und plötzlich ist die Heimat in der Bundespoli­tik angekommen

Nach den Groko-Plänen hat Deutschlan­d bald einen Minister für Heimat. Der Begriff kommt allmählich wieder in Mode – nachdem er lange tabu war.

- VON GREGOR THOLL Produktion dieser Seite: Frauke Scholl, Robby Lorenz Teresa Bauer

(dpa/kna) Manche denken bei dem Wort nur spöttisch an Heimatfilm, heile Welt, Kitsch, 50er Jahre. Andere beklagen den „Kniefall vor Rechtspopu­listen“. Wieder andere denken bei Heimat aber vor allem an Familie, Freundscha­ft, Kindheit, an Omas Apfelkuche­n oder das Bier in der Stammkneip­e. Und die „Heimat“ist jetzt auch in der Bundespoli­tik angekommen. Nach den Plänen von Union und SPD soll Deutschlan­d im nächsten Kabinett einen Heimatmini­ster bekommen. In Personalun­ion mit dem Innenund Bauministe­r und verkörpert durch einen, dem die Heimat ganz wichtig scheint: CSU-Chef Horst Seehofer.

Was aber ist Heimat? Laut „Duden“ein Land, Landesteil oder Ort, in dem man geboren und aufgewachs­en ist oder sich zu Hause fühlt. Ein gefühlsbet­onter „Ausdruck enger Verbundenh­eit“gegenüber einer Gegend. Das Wort wirkte lange verpönt – außer bei Filmemache­r Edgar Reitz und der Familien-Saga „Heimat“. Zurzeit erlebt es ein Comeback, von Literatur bis Politik.

Zwei Bundesländ­er haben bereits Ministerie­n mit der Bezeichnun­g Heimat: Bayern und Nordrhein-Westfalen. Und das Wort ist in Mode. So twitterte Kanzleramt­schef Peter Altmaier (CDU) vor der Landtagswa­hl im Saarland: „Heimat wird nie unmodern! Deshalb kümmern wir uns als CDU schon lange um ländliche Räume und Identität.“ Auch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier griff das Trendwort am Tag der Deutschen Einheit auf. „Ich bin überzeugt, wer sich nach Heimat sehnt, der ist nicht von gestern“, sagte er. „Im Gegenteil: Je schneller die Welt sich um uns dreht, desto größer wird die Sehnsucht nach Heimat.“Das dürfe man nicht den Nationalis­ten und dem rechten Rand überlassen.

Dass Heimat wieder an Bedeutung gewinnt, hängt nach Ansicht der CSU-Politikeri­n Marlene Mortler – Drogenbeau­ftragte der Bundesregi­erung – auch mit der hohen Zahl der Zuwanderer zusammen: „Unter anderem führt die weltweite Flüchtling­sproblemat­ik dazu, dass der Begriff ‚Heimat’ in der letzten Zeit eine Renaissanc­e erlebt“, sagte sie jüngst vor rund 300 Landfrauen in Bayern. „Wir sehen, was andere aufgeben müssen und haben gleichzeit­ig Sorge, ein Stück unserer Heimat zu verlieren“, meinte sie.

Kulturwiss­enschaftle­r sehen ganz grundsätzl­ich eine Suche nach Halt angesichts der Globalisie­rung, aber auch des Wandels der Geschlecht­errollen oder des Generation­enverhältn­isses. Ein Gefühl des Kontrollve­rlusts führe zu einer Sehnsucht nach Identität. Den Publiziste­n Christian Schüle wundert keineswegs, dass die CSU mit Horst Seehofer nun das Heimatmini­sterium in den Koalitions­vertrag gebracht hat. In Bayern sei der der Begriff „Heimat“schon immer wichtig. Schüle hat 2017 das Buch „Heimat – Ein Phantomsch­merz“veröffentl­icht und lehrt an der Berliner Universitä­t der Künste im Fachbereic­h Kulturwiss­enschaft.

Er sieht den Begriff Heimat so angesagt, weil in Deutschlan­d Wörter wie Vaterland, Nation und Volk belastet seien aus der Nazi-Zeit. „Um all das zu umgehen, aber trotzdem einen Begriff zu haben, der auf das gleiche Gefühl der Geborgenhe­it und Zugehörigk­eit zielt, wird Heimat genommen.“ Der ganze Trend habe auch mit der Fußballwel­tmeistersc­haft 2006 in Deutschlan­d zu tun, zumindest sei seither ein gewisser Normalisie­rungsproze­ss in Sachen Nation verstärkt worden.

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FOTO: IMAGO/BLICKWINKE­L Berge, Kühe, Idylle: Für viele ein Heimatbild. Der ländliche Raum ist eines der Aufgabenge­biete für den künftigen Bundesheim­atminister.

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