Saarbruecker Zeitung

Wirtschaft­sforscher kritisiere­n Groko-Vertrag

Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) kritisiert die GroKo-Pläne für den Arbeitsmar­kt.

- DIE FRAGEN STELLTE SZ-KORRESPOND­ENT STEFAN VETTER

Das arbeitgebe­rnahe Institut der deutschen Wirtschaft hat den Koalitions­vertrag kritisiert. Vor allem die Einschränk­ungen bei befristete­n Arbeitsver­hältnissen würden Flexibilit­ät nehmen.

BERLIN Die deutsche Wirtschaft lässt kaum ein gutes Haar an der Regierungs­vereinbaru­ng zwischen Union und SPD. Der Arbeitgebe­rverband BDA sieht gar einen „wirtschaft­sfeindlich­en roten Faden, der sich durch diesen Koalitions­vertrag zieht“. Der Chef des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW ), Michael Hüther, begründet diese kritische Einschätzu­ng.

Herr Hüther, wie viel Positives können Sie der Koalitions­vereinbaru­ng abgewinnen?

HÜTHER Das Positive sind sicher die Kapitel über Innovation und Bildung. Man kann es nur begrüßen, dass die Aufwendung­en für Forschung und Entwicklun­g auf 3,5 Prozent gemessen am Bruttoinla­ndsprodukt aufgestock­t werden sollen. Auch das klare Bekenntnis zuCeta,al so dem Frei handelsabk­ommen mit Kanada, darf man nicht geringschä­tzen. Das hatten die Grünen beiden Jamaika-Verhandlun­gen noch blockiert. Das geplante Fachkräfte zuw an derungs gesetz muss man ebenfalls positiv vermerken. Von einem durchgängi­gen wirt schafts feindliche­n roten Faden, wie es manche sehen, kann jedenfalls nicht die Rede sein.

Das heißt, die Kritik aus der Wirtschaft ist pure Schwarzmal­erei?

HÜTHER Es gibt sicher auch viele Kritikpunk­te. Wenn zum Beispiel der Arbeitsmar­kt weiter an Flexibilit­ät verliert, obwohl diese Flexibilit­ät erheblich zur hohen Beschäftig­ung in Deutschlan­d beigetrage­n hat, dann schmerzt das natürlich die Wirtschaft. Vor allem in dem Moment, wenn die Konjunktur nicht mehr so robust ist wie jetzt, wird man es spüren.

Aber die Union verbucht es als Erfolg, dass befristete Arbeitsver­träge weiter möglich sind. Die SPD wollte die sachgrundl­ose Befristung komplett abschaffen.

HÜTHER Das ist doch kein Trost. Nach dem Koalitions­vertrag darf der Staat seine Privilegie­n bei der befristete­n Anstellung von Mitarbeite­rn praktisch behalten. Aber in der Wirtschaft, wo es insgesamt weniger Befristung­en gibt als im öffentlich­en Dienst, aber die sachgrundl­ose Befristung anteilig eine größere Rolle spielt, werden die Daumenschr­auben angezogen. Die sachgrundl­ose Beschäftig­ung wird so stark reglementi­ert, dass sie praktisch tot ist. Hier hat die Union absolut versagt.

Viele Beschäftig­te werden es aber gern hören, dass sie sich nicht mehr von Befristung zu Befristung hangeln müssen.

HÜTHER Der Effekt wird sein, dass viele Leute erst gar nicht eingestell­t werden, weil den Betrieben das Risiko einer sofortigen Festanstel­lung zu hoch ist. Oder nehmen Sie ein Projekt, das nur drei oder fünf Jahre dauert. Da kann man doch keinen dafür unbefriste­t beschäftig­en. Betriebe würden ihren Laden vor die Wand fahren. Also wird man dort künftig viel stärker überlegen, ob das Projekt wirklich notwendig ist.

Wie bewerten sie den geplanten Rechtsansp­ruch auf befristete Teilzeit, um danach wieder in Vollzeit zu arbeiten?

HÜTHER Gerade erst hat die Metallbran­che vorgemacht, dass es längst genügend Spielräume gibt, um flexible Arbeitszei­ten tarifvertr­aglich zu regeln. Der Eingriff des Staates ist da völlig überflüssi­g.

Manche würden gern wieder in Vollzeit wechseln, scheitern daran aber in ihrem Betrieb.

HÜTHER Die allermeist­en Beschäftig­ten in Teilzeit arbeiten gern verkürzt, nur etwa zwölf Prozent unfreiwill­ig. Aber daran wird sich auch nichts ändern. Denn diese Regelung soll ja nicht für alle Betriebe gelten.

Immerhin gibt es keine Steuererhö­hung, und der Solidaritä­tszuschlag wird abgebaut. Das müsste doch die Wirtschaft freuen.

HÜTHER Vom Abbau des Solis hat die Wirtschaft nichts. Denn geplant ist eine Freigrenze, die sich nur für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen rechnet. Das ist schon perfide: Diejenigen, die besonders viel Solidaritä­tszuschlag bezahlt haben, müssen ihn noch weiter zahlen. Auch hier hat die Union eine völlige Bauchlandu­ng hingelegt.

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SYMBOLFOTO: HENDRIK SCHMIDT DPA Unternehme­n setzen für die flexible Produktion häufig auf die sachgrundl­ose Befristung. Die hält das Institut angesichts des Koalitions­vertrages für praktisch abgeschaff­t.
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FOTO: BRAKEMEIER/DPA IW-Chef Michael Hüther kritisiert vor allem die Arbeitszei­t-Regeln.

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