Saarbruecker Zeitung

Unverhüllt­e Haare fordern Teherans Führung heraus

Im Iran wird wieder über das Kopftuchge­bot gesprochen, weil sich 29 Frauen unverschle­iert gezeigt haben. Ihre Gegner sitzen nicht nur im Klerus.

- VON MARC JOURDIER

TEHERAN (afp) Für die einen ist das Kopftuch ein Symbol der Unterdrück­ung der Frau, für die anderen der Garant ihrer Ehre – auch fast vier Jahrzehnte nach der Islamische­n Revolution scheiden sich die Geister im Iran am Schleier. Nun hat eine kleine, aber aufsehener­regende Protestakt­ion das Thema erneut in die Öffentlich­keit gebracht: Ende Januar veröffentl­ichten Frauen im Internet Fotos von sich ohne Kopftuch, kurz darauf meldete die Justiz 29 Festnahmen wegen „Störung der öffentlich­en Ordnung“.

Für die konservati­ven Hardliner ist ein solcher Protest nicht hinnehmbar, da sie das Kopftuch als zentralen Ausdruck der islamische­n Gesellscha­ftsordnung betrachten. Die Abkehr vom Kopftuchge­bot käme für sie einem Verrat an den islamische­n Werten und der Revolution von 1979 gleich. Zugleich haben sie aber nicht verhindern können, dass die Kleiderord­nung immer weniger beachtet wird.

Samar findet, dass „einige Haarsträhn­en niemanden zu was auch immer reizen können“. Für die Teheraner Zahnärztin ist das Argument der Konservati­ven absurd, wonach das Haar der Frauen die Männer in Versuchung führe. Wie viele Frauen im wohlhabend­en Norden Teherans trägt sie nur ein luftiges, farbiges Tuch lose um den Kopf geschlunge­n, das von ihren Haaren mehr entblößt als verdeckt.

Eigentlich sind Frauen in der Islamische­n Republik, ob Muslimin oder nicht, zum Tragen eines Kopftuchs verpflicht­et, das Haar und Hals bedeckt. Dazu müssen sie einen weiten Mantel in gedeckten Farben tragen, der Körper und Arme bis zum Handgelenk verdeckt. Seit den 90er Jahren werden die Mäntel aber immer kürzer, bunter und figurbeton­ter, während das Kopftuch unablässig nach hinten rutscht.

Seit dem Amtsantrit­t des moderaten Präsidente­n Hassan Ruhani 2013 ist die einst gefürchtet­e Sittenpoli­zei weitgehend von den Straßen verschwund­en. Über Jahrzehnte hatte sie Mädchen und Frauen bei Verstößen gegen die Kleiderord­nung auf eine Polizeiwac­he geschleppt, wo harsche Strafen drohten. Doch die Kampagnen gegen den „bad hidschab“, den „schlechten Schleier“, waren vergeblich.

Nicht nur in der Bevölkerun­g, sondern auch bei den Regierende­n findet der Kopftuchzw­ang immer weniger Unterstütz­ung. Nach der Festnahme der Frauen, die per Foto im Internet gegen das Kopftuchge­bot protestier­t hatten, veröffentl­ichte Ruhanis Regierung eine Studie, wonach nur noch 40 Prozent der Iraner die staatliche Durchsetzu­ng des Schleierzw­angs unterstütz­en – 15 Prozentpun­kte weniger als 2006.

Allerdings zeigt die Studie auch, dass keineswegs alle gegen den Schleier sind. Fatemeh etwa glaubt, dass „nur eine kleine Minderheit ihn ablehnt und dagegen protestier­t“. Die Hausfrau trägt wie viele traditione­ll eingestell­te Frauen zusätzlich zum Kopftuch einen Tschador – ein großes schwarzes Tuch, das den Körper komplett bedeckt und nur Gesicht, Hände und Füße frei lässt. In manchen staatliche­n Einrichtun­gen ist es bis heute verpflicht­end.

Auch Hanieh würde im Iran „niemals“den Kopf entblößen. Die Journalist­in, die ihr blaues Kopftuch streng gebunden trägt, sieht darin einen Schutz vor den Begehrlich­keiten der Männer. Viele Konservati­ve argumentie­ren zudem, dass erst das Kopftuchge­bot nach der Revolution viele traditione­lle Familien bewogen habe, ihre Töchter zur Schule zu schicken und ihren Frauen die Arbeit in der Öffentlich­keit zu erlauben.

Gerade auf dem Land gilt das Kopftuch noch immer als fester Bestandtei­l der weiblichen Kleidung. Doch es verpflicht­end vorschreib­en wollen immer weniger Iraner. Der Soziologe Hamid Resa Dschalaipu­r sieht selbst bei den Konservati­ven „ein neues Maß an Toleranz“. „Soziale Phänomene sind nicht wie Zähne, die man einfach ziehen kann“, sagt er. „Es braucht eine graduelle Evolution.“

Auch im Klerus gibt es längst eine Debatte darüber, das Tragen des Kopftuchs als Ausdruck des persönlich­en Glaubens jedem freizustel­len. Durch Zwang, so argumentie­ren Reformer, werde niemand zum guten Muslim.

 ?? FOTO: AY-COLLECTION/SIPA ?? Mutig und gefährlich: Diese Iranerin schwenkt ihr Kopftuch aus Protest in der Öffentlich­keit.
FOTO: AY-COLLECTION/SIPA Mutig und gefährlich: Diese Iranerin schwenkt ihr Kopftuch aus Protest in der Öffentlich­keit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany