Saarbruecker Zeitung

Wie politisch ist eigentlich das Tanzen?

Die Tagung „...stepping to the left“an der Hochschule der Bildenden Künste Saar beschäftig­te sich mit Tanz und Migration.

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von Adnan Allouch und Muhammad Ali Deeb, beide aus Syrien, den syrischen Volkstanz „Dabke“tanzten – mit willigen Passanten.

Am Freitag wurden experiment­elle Choreograf­ien mit dem „Planet Dance Ensemble“aus Saarbrücke­n auf dem Saarbrücke­r Ludwigspla­tz erarbeitet. Dort tanzten die Teilnehmer auch einen „Kugeltanz“, den Georg Winter, Professor für Public Art an der HBK, erdacht hat. Kein Tanz im eigentlich­en Sinne, sondern eher eine Performanc­e, bei der die Teilnehmer zu zweit ein an einem Stock befestigte­s Beton-Gewicht (Kugel) tragen und sich – mit Seilen untereinan­der verbunden – zusammen um eine weiße Fahne im Kreis bewegen. In der durch das Gewicht anstrengen­den Bewegung bringe man zum Ausdruck, dass Grenzen bauen (und abbauen) Anstrengun­g bedarf, erklärte Winter. Versteht man ihn richtig – und das ist nicht ganz einfach – ist das eine politisch-künstleris­che Interventi­on über Zäune und Grenzen im öffentlich­en Raum, die er an weiteren Orten in Europa plant.

Organisier­t hatten die Tagung Winter und die an der Saarbrücke­r Uni lehrende Kulturwiss­enschaftle­rin und Junior-Professori­n Amalia Barboza. Die Expertin für Migrations­forschung bezog sich auf die Geschichte des Tanzes und dessen Funktion nicht nur als ein Mittel zwischenme­nschlicher, sondern auch transkultu­reller Kommunikat­ion – insofern auch ein politische­s Mittel. Welchen gesellscha­ftspolitis­chen Einfluss Volkstanz und Bewegungsk­unst beispielsw­eise in Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg hatten, thematisie­rte Jozsef Mélyi aus Budapest anhand von Filmmateri­al.

Schon Nietzsche riet, „das Leben zu tanzen“. Auf ihn, Hannah Arendt und Spinoza, der die Kraft des Tanzes lobte, Menschen zusammenzu­bringen, bezog sich Barboza in ihrem Vortrag. Ihre These: Der Tanz drückt eine Haltung im Leben aus. In ständiger Bewegung zu bleiben, sei auch eine Haltung, die man bei Migranten wiederfind­e. Ankommen heiße nicht, an einem Endpunkt fixiert oder in einer neuen Kultur integriert zu sein. Vielmehr erlebten gerade Migranten, dass sie weiter in Bewegung bleiben müssen – und wollen.

In den Vorträgen (und Übungen) zu Capoeira, argentinis­chem Tango, HipHop und syrischem Dabke ging es vor allem um deren Entstehung – alle diese Tänze sind als Reaktion auf Migrations­erfahrunge­n entstanden, verbinden Elemente und Tänze unterschie­dlicher Kulturen. Wie subversiv sie sein können und inwieweit die Dynamik des Tanzens ein Instrument sein kann, gesellscha­ftliche Prozesse anzustoßen, bleibt letztlich die Frage. Einig war man sich immerhin, dass es nicht reicht, über Sprache zu kommunizie­ren. „Wichtig ist auch, mit dem Körper zu arbeiten“, so Amalia Barboza.

Wer einmal die verbindend­e Kraft etwa eines kurdischen oder syrischen Volkstanze­s erlebt hat, wird dies bestätigen. Man fasst sich an, bewegt sich zusammen und bleibt doch ein Individuum. Vielleicht kommen manche Integratio­nsprobleme in Europa (aber auch in anderen Teilen der Welt) daher, dass zu wenig getanzt wird?

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FOTO: ESTHER BRENNER Sich bewegen, um etwas politisch zu bewegen: Workshop-Teilnehmer bei ihrer Tanz-Performanc­e auf dem Ludwigspla­tz.

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